Ach nein, ist schon in Ordnung. Ich kam halt vor lauter Zwischenrufe nicht zum Posting-Schreiben, dabei wollte ich noch etwas Global-pädagogisches in den Raum werfen.
Wenn ich über Pädagogik nachdenke, fällt mir als erstes auf, dass man schon durch den Begriff "Pädagogik" eine Teilung von Mensch und Kindern vornimmt, von Mensch und Gesellschaft womöglich, und das selbst stellt vielleicht das Problem dar.
Zu Rousseaus Zeiten, der seine eigenen Kinder beobachtete und aus ihnen Fallbeispiele konstruierte, für einen ersten Pädagogikansatz (wie er sie in Emile verfasst hat -- korrigiert mich, wenns nicht stimmt, meine Schulzeit ist lange her), gab es gar keine Kinder. Die Auffassung, die die Gesellschaft seinerzeit von Kindern hatte war diese, dass Kinder unreif -- nicht mehr als unfertige Erwachsene sind. Man veranschaulichte das mit dem Bild eines Birnbaumes, in dem die noch nicht reifen Früchte (Kinder) hingen. Im Prinzip war das Ziel der pädagogiklosen Gesellschaft vor Rousseau jenes, Kinder möglichst schnell zu Erwachsenen anreifen zu lassen, so dass sie funktionierende Stammhalter wurden.
Ich finde es einleuchtend und gut, dass seinerzeit die Pädagogik "erfunden" wurde, aber mit Erkennen des Problems hätte man sie als Wissenschaft wieder abmildern müssen zu einer Art Gesamtgesellschaftskonzept, das Klein und Groß miteinbezieht.
Rousseau hat den Stein ins Rollen gebracht, er hatte ein "Versuchsumfeld" geschaffen, sich mit der Psyche des Kindes auseinander zu setzen, oder sagen wir, er hat eine Vorstufe geschaffen, die Psychologie kam ja erst später. Piaget bemerkte dann das schub- und phasenweise Wachstum des Kindes, das von Trotzphasen begleitet wurde, auch das war sensationell und neu -- wenn auch immer schon dagewesen, nur noch nicht aufgefallen. Heutzutage steuert die Hormonforschung ihr Quentchen bei und man hat es auch im Hinblick auf "Jungenerziehung" noch einmal schwer, denke ich gerade, weil die Pädagogik der letzten Jahrzehnte mehr auf Gleichstellung der Frau ausgerichtet war. Man weiß bis heute kaum, wie Jungen "ticken", über Mädchen (scheint mir) weiß man mehr.
Es sind viele Modelle entwickelt worden -- Montessori, Waldorff, Summerhill, um einige zu nennen und die Essenz aus diesen Modellen ist langsam in die Köpfe der Eltern und noch langsamer in die Lehrpläne eingezogen, vorausgesetzt, die Lehrer/innen spüren in der Kinder"erziehung" einen Auftrag, für die meisten ist es doch nicht mehr als ein Gelderwerb.
Ich meine beobachtet zu haben, dass eigene Extremerfahrungen zum Ausschlagen des Pendels in die anderer Richtung führen und sehr viel später erst zu einem Einpendeln in der Mitte. Anders kann ich nicht erklären, dass aus einer Generation geprügelter und geschlagener Kinder antiautoritäre Eltern wurden. Wahrscheinlich werden die Kinder dieser Eltern wieder ein Stück mehr autoritär sein, und so weiter.
Dann muss man einmal festhalten, dass seit es die Antibabypille gibt, Kinder "produziert" werden, die auch gewollt werden. Kann man daraus ableiten, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Ungewollte nunmehr Wunschkinder erziehen? Hin und wieder lässt sich bereits erkennen, dass neuerdings Kinder die Eltern erziehen!
In der Schule wurde ich zwar nicht an den Ohren gezogen, dafür waren wir eine Generation Versuchskaninchen. ich erinnere mich an tagelange Tests "Sind Linkshänder intelligenter als Rechtshänder" (Linkshänder wurden nicht mehr umerzogen), dann die Einführung der Differenzialklassen, die reformierte Oberstufe, so genannte Wahlpflichtfächer und andere Sachen, die für mein Verständnis nicht zu durchschauen waren. Die späten siebziger/frühen Achtziger waren politisch prekär, hier konnte man in der falschen Reihe sitzen oder der richtigen Partei angehören und bekam die entsprechende Schulnote. Als ich das in seiner Gänze verstanden hatte, war die Schulzeit schon vorbei, die Schule abgerissen und heute steht dort eine Gesamtschule.
Man muss die gesellschaftlichen Strömungen erkennen, denke ich, aber es gibt kein Patentrezept. Die einen schwimmen oben, andere tauchen ab und manche gehen unter. Das war schon immer so und ist auch heute so. Vielleicht liegts am Ende nur am guten oder schlechten Karma, wer weiß das schon? Wichtig ist, das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken, sie nicht klein machen lassen und im Zweifelsfall auch mal einer gegen alle -- Hauptsache, man bleibt sich selbst treu. Bewusstheit ist auch wichtig.
Es nutzt in meinen Augen nicht zu sagen: "Aggression haben wir nicht, bei uns sagt keiner Arschloch, dieses Klima gibt es in meiner Familie nicht." Die Verbalaggression macht auf dem Schulhof zuerst die Runde, die Jungs geraten ein wenig in die Rüpeljahre, messen ihre Kräfte und wollen auch zuhause die Autorität aufbrechen, die sie als falsch empfinden.
Ich sehe keinen Grund, mich mit meinem Mann zusammenzutun. Er sagte am Anfang der Daddeldiskussion: "Nu lass ihm doch seinen Spaß!" Ich habe auf die Gefahr hingewiesen, ich habe gespürt, welch ein Sog von den Konsolen ausgeht und wie das Kind Tag für Tag aggressiver wurde. Für Mann und Kind war ich aber nur ein mieser Spielverderber und -verbieter.
Diese Baller-Jump-Run-Fight-Spiele machen Stefan aggressiv, wenn er von denen auftaucht (auch heute noch), braucht es einen Zeitpuffer, bis er normal spricht und nicht diesen erhitzen und aufgeregten "Du-kannst-mich-mal-Stil" pflegt. Mich provoziert dieser nicht, ich frage ihn dann, merkst du, woher das kommt, hast du eine Erklärung dafür? und plötzlich mitten im Satz folgt die Kurskorrektur. Für mich reicht das an Erziehung. Mein Mann wiederum ist direkter, er sagt: "so nicht", oder: "ich verbitte mir diesen Ton" -- das reicht dann auch, aber ich bin sicher, es gärt unterirdisch im Kind weiter. Summa sumarum bieten mein Mann und ich dem Kind eine ordentliche Bandbreite an Erziehung. ich denke, jeder ist für seinen Stil selbst verantwortlich, als Kind konnte ich auch sauber unterscheiden, wie weit Mama springen kann und wo die väterlichen Grenzen lagen.
... es ist nicht nur das Daddeln, es sind auch andere Sachen, die Süßigkeiten zum Beispiel, die reglementiert werden oder die Schlafensgehzeit, die von den Eltern festgelegt wird und vom Kind nicht angenommen werden. Haben alle Eltern ein wenig, das Problem, denke ich -- haben wir ähnlich geregelt: im Urlaub durfte er so lange aufbleiben, wie er wollte. Und wenn der Himmel anderntags grau und vermiest ist -- weil zu wenig Nachtschlaf, gab es wieder Gezanke. Dann wurden keine Karten ins Gesicht geworfen, sondern Worte. Aber was soll man auf diese erwidern? Ich streite mich nicht ("haben meine Eltern sich nicht ständig gestritten?"), ich gehe den komplizierten Weg und schaffe Bewusstheit: "kann es sein, dass du schlecht gelaunt bist, weil du zu wenig Schlaf hattest?" Ich spüre schon, dass ein heftiger kurzer Schlagabtausch direkter wäre, dass ein Gewitter schneller die Luft reinigen kann, aber ich kann das nicht, mir gelingt das nicht.
Manchmal denke ich an den ollen Spruch aus meiner Hundehalterzeit: "Kinder und Hunde muss man gleich erziehen", aber die Erziehung war mir schon damals mit dem unbeugsamen Husky nicht gelungen: wenn man wollte, dass er gehorchte, musste man ihn dann rufen, wenn er kam. Kommandos konnte er keine annehmen, nur die wenigen, die wir brauchten, auf die hat er gehört.
Ich bin optimistisch. Das Kind wächst, wie es den Anschein hat, größtenteils ohne mein Zutun. Hin und wieder fragt es mich nach dem Weg und manchmal stupse ich es auf diesen zurück. Erziehung wird in meinen Augen völlig überbewertet.
Allen schöne Grüße,
von wallenstein