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THEMA: Musikalität

Re: Musikalität 03 Dez 2008 20:49 #66638

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Was ist sein Volk ohne seine Kultur? Ich möchte nochmal die Pygmäen bemühen, ein sangesfreudiges Volk. Wenn sie jagen gehen, verständigt sich die Gruppe per Gesang, einem hochkomplizierten polyphonen und polyrhytmischen Gebilde. Es besteht absolut keine Trennung zwischen Musik und Sprache. Sie sind eins.

Pygmäengesang
Zentralabitur Musik 08 schrieb:
Von Generation zu Generation wird das Wissen um die richtigen Töne mündlich weitergegeben. In der Grobform ist die Pygmäen-Musik simpel, sie besteht aus endlos repetierten Rundgesängen. Das Komplexe liegt im Detail. Alle in der Stammesgemeinschaft sind am musikalischen Geschehen beteiligt, und nahezu jeder singt etwas anderes - jeweils kurze aneinander gereihte, von Pausen löchrig durchsetzte Tonlaute und Jodelmotive, die immerzu variiert werden. Vielsträhnig laufen sie parallel in kühnen metrischen Verhältnissen - und bleiben doch immer aufeinander bezogen. So fügt sich der Gesang zu einer hin- und herwogenden, suggestiv leiernden Vokalmusik, deren Bauplan das an der abendländischen Musik geschulte Ohr nicht zu enträtseln vermag. Ligeti vergleicht die Pygmäen-Chöre mit den chaotisch-schönen Erscheinungsformen der Fraktalgeometrie, bei der ebenfalls einfache Grundformeln die bizarrsten Strukturblüten austreiben können. In seinen eigenen Stücken hat Ligeti immer wieder ein ähnlich verrücktes polymetrisches Räderwerk in Gang gesetzt, nachdem er Anfang der achtziger Jahre die zentralafrikanische Musik für sich entdeckt hatte. Auch Conlon Nancarrows irr laufende Stücke für das players piano sind nicht weit weg von der Rhythmik der Pygmäen, ebenso wie manch stochastisch ertüfteltes Rhythmusgefüge im Werk von Iannis Xenakis. Und die Minimal Music von Steve Reich wirkt wie eine ins Meditative gewendete Light-Version der afrikanischen Motiv-Pulsationen. Natürlich führen solche Parallelen nicht sehr weit, viel zu radikal verschieden sind die kulturellen Kontexte der Musikproduktion. Aber dem Fortschrittsbegriff der abendländischen Kunstmusiktradition und dem daran geknüpften Überlegenheitsanspruch steht die Pygmäen-Polyphonie allemal entgegen: Was Ligeti rhythmisch in seinen equilibristischen Klavieretüden verarbeitet, haben die afrikanischen Eingeborenen mit ihrer Hoquetus-Gesangstechnik schon den ägyptischen Pharaonen vorgesungen.

Die Frage an einen Pygmäen, ob er sich für musikalisch halte, entspräche bei uns der Frage, ob man gut deutsch spreche. Die Frage nach der Musikalität hat also gleichviel mit der Abwesenheit von Musikalität zu tun. Also eher mit der Frage, warum so viele Menschen die Musik verloren.
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Re: Musikalität 03 Dez 2008 20:51 #66639

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Danach wäre ein Komponist, der kein Instrument spielen kann, unmusikalisch.

Lieber JES:
Nun, ich kenne keinen Komponisten, der kein Instrument beherrscht. Er muss deswegen nicht der größte Instrumentalist sein, aber.....
Das "Instrument" des Tänzers ist sein Körper, das Instrument des Sängers seine Stimme usw.
Der Vergleich mit der Sportlichkeit ist falsch.
Genauso wie die Gleichsetzung von Klugheit und Intelligenz. Nicht das Wissen ist genial, sondern die Anwendung des Wissens zu Lösung neuer Aufgaben. Klug ist, wer viel weiß, intelligent der, der mittels Wissen Neues erschafft und Grenzen überwindet.

Nun, wieso ist der Vergleich mit der Sportlichkeit denn falsch? Ich konnte kein Gegenargument erkennen......

Und wieso dieser Begriff dann mit den Begriffen Klugheit (Gebildetsein) und Intelligenz in einem Atemzug genannt wird? Keine Ahnung!!!!!

Ich bleibe dabei:
....man muss zwischen einem "aktiven" Bezug und einem "passiven" Bezug zur Musik unterscheiden.
Mit aktiv meine ich, dass jemand selbst musiziert. Unter passiv verstehe ich, dass man Musik aktiv wahr nimmt.

So und jetzt setze ich mich total sportlich vor die Glotze, gönne mir ein Glas Wein und schaue, wie die Jubgs so kicken..... ;-)
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Re: Musikalität 03 Dez 2008 23:18 #66648

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Hi,

wenn ich Musik nicht als lebensnotwendig erachten würde, wäre ich sicher nicht Musiker geworden. Ich vertrete keine echte Gegenposition. Halte aber fest daran, dass man auch ohne Musik schlafen, essen, atmen, trinken und sich reproduzieren kann.

Ich glaube auch, dass die Musik eine Art der Kommunikation darstellt. Aber Sachverhalte wie etwa: "Moment mal, ich glaube, ich bekomme noch 1,17 € raus, weil Sie das Bauernbrot, geschnitten mit dicker Kruste, versehentlich zwei Mal getippt haben. Außerdem ist es diese Woche im Sonderangebot." werde ich auch mit all meinen Hörnern nicht rüberbringen. (Nicht, dass ich solche Sätze wirklich benutzen würde :-) )

Ich finde es im Gegenteil faszinierend, dass mir zur verbalen und kausal gebundenen Kommunikation (so ist eben unsere Grammatik gebaut) eine unglaublich machtvolle Alternative zur Verfügung steht, deren Regelwerk mir Dinge erlaubt, die ich nicht sagen würde können. Die gemeinsame Wurzel von Musik und Sprache kann ich weder bestreiten noch bestätigen. Dass aber heute die Trennung klar ist, ist ebenfalls offensichtlich. Worte zur Musik gelten nicht.
next time you see me...
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 00:06 #66654

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Hallo,

als ich noch mit Chor und Instrumentalgruppe "Weihnachtsmusik" in der Kirche machte, war die Etablierung neuer - der Gemeinde bisher unbekannter - Stücke relativ einfach.

Wenn die "Keywords" in einem neuen Stück - "Bethlehem, Jesus, kleines Kind im Stall, Ochs und Esel, dunkle Nacht, der Herr, Freude und Friede auf Erden ...usw." auftauchten...dann war klar... es geht um Weihnachten...da machen wir mit...auch wenn wir das Stück bisher noch nicht gehört haben...schließlich ist ja "Weihnachten".

Seitdem die Instrumentalgruppe - ohne Chor ( und Text) - versucht, neue Weihnachtsmusik in die Gemeinde zu bringen, gibt’s Schwierigkeiten.

Psallite - Puer natus est ...da fragen selbst die Mitglieder der ganz guten Instrumentalgruppe ... wo bleiben die Weihnachtslieder? Hat das was mit Weihnachten zu tun?

Für mich ja, für andere auch...für andere wieder nicht ...weil sie´s nicht anders kennen.

Musikalität ... für mich unendlich vielschichtig ... und durch Tests kaum zu fassen.

Im praktischen Musikmachen erscheinende Musikalität heißt für mich...das eigene vorhandene Potential zu erkennen versuchen, es rücksichtslos ausnutzen,

üben und lernen,

sich Kenntnisse verschaffen,was andere und "Altvordere" zum einem bestimmten musikalischen Umfeld ( z.B. Weihnacht) gesagt und in Noten hinterlassen haben....
und daraus mit der eigenen Musikalität und Erlerntem ...vielleicht was ganz was Neues zu machen.

saxclamus

P.S.: Die "Ausuferung" dieses Threads sehe ich positiv!



Vertrauen in die Lernförderung durch den Schlaf schafft Zuversicht auch beim Üben am Detail.(Rezept 39 aus "Einfach Üben" v. Gerhard Mantel

Nur wer nichts tut kann auch nichts falsch machen.
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 00:54 #66659

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@saxgeschrei: ja, schade, dass der Nationalsozialismus eine so große Wunde in unsere Volksbräuche geschnitten hat. Die Tradition, die du hier ansprichst, ist der Garant für Musikalität. Ich hatte Glück mit einem musikalischen Elternhaus. Die deutsche Volksmusik war für mich damals nicht zu ertragen. Das deutsche Lied hörte für mich in den 30ern auf und entstand neu durch die Waldeckszene Ende der 80er. Die politischen Lieder von Degenhardt, Süverkrüpp, Mossmann, Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter waren für mich ein Neuanfang deutscher Liedkultur. Der emanzipierte deutsche Freejazz und die Neue-Musik-Szene lieferten weitere authentische Musik. Ein Riesenaufbruch für mich, der mir aus heutiger Sicht noch mal vor Augen hält, auf welcher Asche die kleinen Pflanzen neuer deutscher Musik wuchsen; was für ein Riesenloch die Nazis in unsere Kultur gebombt haben. Ich mag die Harmonien unserer Volkschöre, mag die Stimmen, ihren Ausdruck, komm aber immer noch schlecht mit dem Begriff Heimat zurecht. Das wird wohl auch so bleiben, ist halt zerstört.

Musikalische Wahrnehmung ist aber keine abstrakte, von der Wirklichkeit getrennte. Die Bewohner von Rio haben kein Problem, ihre Stadt zu besingen; Musik, Stadt und Bewohner sind eine Einheit, die jeder augenblicklich spürt, wenn er nur die Musik hört. Ich denke, dass der Nationalsozialismus auf viele Generationen einen Großteil von Musikalität zerstört hat.



Noch etwas ganz anderes: meine Frau erzählte heute, als wir über angeborene und vermittelte Musikalität diskutierten, dass sie im Studium eine Frau traf, die, ohne musikalisches Elternhaus aufgewachsen, alleine mittels eines Musikalitätstestes (mittels Gehirnstrommessung) auf ihre Musikalität hingewiesen, das Musikstudium angefangen hat.

Angeborene Musikalität? Oder Glück gehabt, die Musikalität nie verloren zu haben?

Wenn ich mir einige Kandidaten in der Natur anschaue, dann denke ich, dass die Musik vor dem Wort entstand. Ganz interessant in dem Zusammenhang: Singvögel! Je größer die Lebensgemeinschaft der Vögel ist, desto eintöniger wird ihr Gesang. Die Individualisten, die vereinzelt lebenden Vögel, singen die komplexeren Melodien.

Das war das Wort zur Donnernacht.
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 01:12 #66660

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Nu hab ich gerade nachgegoogelt, was der gute Dr. Dr. Dr. heute macht, so er denn noch lebet. Doch doch, er tutet noch. Er passt hier sehr gut rein, weil er offenbar der Unmusikalischste der ganzen Liedersängerbewegung von damals war. Hier seine Antwort auf "I can"t get no satisfaction": Ich bin noch immer, unbefriediegt

Gesungen anläßlich der Verleihung des Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte 2008. Vollkommen authentisch und überzeugend, aber eben renitent unmusikalisch. Ganz nach dem Motto: wir haben keine Chance, also nutzen wir sie. Beeindruckt mich.
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 07:46 #66664

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@pue:

An dem Beispiel mit dem 3 x Dr. erkennt man, dass sogar der Rap eine urdeutsche Erfindung ist. Eben mit dem deutschen Traditionsrhythmus auf 1 und 3......aber trotzdem, die Amis haben es uns wieder halt nur nachgemacht! :-ß

Fazit aus diesem Thread über Musikalität ist: Jeder versteht was anderes darunter - jeder gerade so, wie er am besten damit leben kann! :-\
ISt aber nichtsdestowenigertrotz interessant! :-)
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 09:15 #66668

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Ich greife nochmal etwas zurück: Pulco "frug" nach der Ursache für die große Bedeutsamkeit von Musik für fast jeden von uns.

Könnte sein, dass das mit einer vorgeburtlichen Prägung zu tun hat. Das erste was wir hören, wenn uns denn das Gehör gewachsen ist, ist der Herzschlag der Mutter. Rhythmisch (hoffentlich ;-)), zuverlässig, immer da. Dazu kommen die anderen Geräusche des Körpers. Rauschen, Tosen, Säuseln. Stimmen, Vibrationen. Und mit Glück auch schon die erste Musik.
Gekoppelt ist das Ganze dann genialer Weise auch noch mit Bewegung. Und...der Herzschlag erhöht sich sobald sich der Körper schneller bewegt...Tanzen?


Da wundert es mich eigentlich eher, dass es Menschen gibt, denen Musik nichts bedeutet. Die kein Gefühl dafür haben...

stromlose Grüße

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Jazz ist, was ihr draus macht ;)
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 11:25 #66673

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Hi,
Singvögel! Je größer die Lebensgemeinschaft der Vögel ist, desto eintöniger wird ihr Gesang. Die Individualisten, die vereinzelt lebenden Vögel, singen die komplexeren Melodien.

Genau - und das hat einen Grund. Der Gesang dienst dazu, das Revier abzugrenzen und das Weibchen zu beeindrucken (find ich einfach eine wunderbare Parallele 8-) ). Wenn sowieso schon alle dicht auf dicht hocken das Revier gemeinsam und das Weibchen in nächster Nähe ist, erübrigt sich das Singen. Was mich immer wieder begeistert, ist der Gesang der Amseln. Ich sterbe fast, wenn ich das höre. Manchmal mitten im Großstadtverkehr. Oder um vier Uhr morgens. Interessant daran ist, dass Amseln das gar nicht nötig hätten, denn wie man am ebenfalls eher vereinzelt lebenden Zilpzalp hört, reichen auch zwei Töne. Der Gesang der Vögel ist für mich Musik. Absolut. Für die Amseln selbst vermutlich auch, denn sonst würden sie nicht so ausdauernd, varianten- und erfindungsreich singen. "Bevor es Vögel gab, war es stumm auf der Erde" (Olivier Messiaen). Vielleicht ist unsere Musik ein Ableger des Gesanges der Vögel.
next time you see me...
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Re: Musikalität 04 Dez 2008 12:38 #66679

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Vielleicht ist unsere Musik ein Ableger des Gesanges der Vögel

... oder wir sind nur komische Vögel.

Da wundert es mich eigentlich eher, dass es Menschen gibt, denen Musik nichts bedeutet. Die kein Gefühl dafür haben...

Genau das waren meine Gedanken.
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