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THEMA: Musiker als Ware

Der individuelle Ton 06 Mai 2010 10:13 #90106

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Moin pue,

ich verstehe jetzt, was du meinst, aber das geht sicher weit über das Thema "der individuelle Ton" hinaus.

Gruß,
xcielo
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 11:05 #90107

  • Christoph Berndt
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pue schrieb:
Denn der Musiker selbst ist die Ware, von der er nach Feierabend keinen Abstand nehmen kann.

Warum sollte es einem Musiker da besser gehen als etwa einem Müllkutscher?

Abstand zu sich selbst, oder einer besonders nahegehenden persönlichen Betätigung herstellen zu können ist eine Fähigkeit, die jeden Menschen bereichern kann; diese Fähigkeit nicht zu besitzen ist kein Privileg von Musikern, Künstlern.

Das Thema der Entfremdung von Mensch und Arbeit betrifft jeden, der sich den rigiden Gesetzen des Kapitalismus unterwirft, Marx hat die ökonomische Analyse dazu längst geliefert, Feuerbach den [religions]philosophischen Diskurs dazu auf die Spitze getrieben.

Dein Klagelied enthält mir persönlich allzuviel Larmoyanz ob deiner eigenen Rolle.

Ich persönlich erlebe mich niemals als Ware, auch nicht wenn ich mitbekomme, daß Publikum das tut. ich habe da ein warmes Lächeln auf den Lippen und in den Augen. Lies mal: Soboczynski, Adam - "Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder die Kunst der Verstellung" - ist ein nettes, mal selbstironisch, mal sarkastisch erhellend, augenzwinkerndes Büchlein zu dem Thema.


Kopf hoch, kommen auch wieder bessere Zeiten :)


Bester Gruß, Christoph
Egal was Du spielst, Hauptsache es klingt gut.
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 11:19 #90109

  • bluemike
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Hi,
M.a.W. sind die persönlichen/psyischen Strukturen die erfolgreiche Musiker/Künstler hervorbringen andererseits auch Strukturen, die besonders empfänglich sind für Verführungen durch Drogen etc.?

Richtig! Bestimmte Denkstrukturen oder emotionale Grundveranlagungen aber auch soziale Strukturen legen oftmals einen Weg nahe, den die Betroffenen dann gehen.

Und dann werden sie im Idealfall Schachspieler, Musiker, Sportler und sonstwas - auf jeden Fall ein wenig abseits der gesellschaftlichen Norm.

Aber der Schluss daraus ist doch der: Es ist ein kaum fassbares Glück, wenn man die Möflichkeit hat, damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn es so läuft, wie (glaube ich) Leonard Cohen einmal gesagt hat: Not to work for pay but to be paid for my work.

Eventuelle Begleiterscheinungen, wie sie mit dem Spielen vor Publikum zu tun haben, nimmt man da doch mit Kusshand. Ich habe lange Zeit mit einem Schlagzeuger gespielt, der nach gelegentlichen schlechten Gigs immer gesagt hat: Es ist immer noch gut so. Stell dir vor, du müsstest jetzt auf einer Baustelle arbeiten oder im Büro sitzen.

Das soll absolut niemanden herabwürdigen. Aber wenn jemand Musik machen kann und das für etwas anderes bleiben lassen muss, dann ist das tragischer, als an der Musik und ihren Umständen zu zerbrechen.

Ein Individuum wird wohl nur dann glücklich werden, wenn es zumindest partiell das tun kann, was ihm am besten entspricht. Und dazu gehört auch, dass man sich adäquat ausdrückt. Dazu wiederum gehört der eigene Ton am Instrument als gelebte Individualität, als Ton gewordene menschliche Stimme, als purer Ausdruck, dass wir alle anders sind und doch eins.
next time you see me...
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 11:27 #90111

  • Dreas
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@bluemike,

toll auf den Punkt gebracht!

LG

Dreas
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Reeds-Shop

Der individuelle Ton 06 Mai 2010 12:59 #90117

  • wallenstein
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Hallo pue,

das ist eine spannende Diskussion!
Allerdings bin ich doch verwundert, pue: dieselbe intelligente Volkszelle, der du gestern noch die Errettung der Welt zugetraut hast -- nämlich dadurch, dass sie in ihrem Denken die politische Spitze des Dreiecks auf den Kopf stellt -- diese Volksseele geht jetzt umher und pickt sich wehrlose kleine Künstler heraus, stürzt sich auf sie und frisst sie mit Haut und Haaren?

Da stimmt etwas in deiner Ideologie nicht. Sie klingt in meinen Augen tradiert, klischeebehaftet. Ich sehe den einsamen Künstler nach seinem famourösen Bühnenauftritt in der düsteren Hotelzimmerzelle seine Sorgen mittels Alkohol, Zigaretten und Weltschmerzgedanken wegfegen. Du solltest auf deine Kritiker hören, die sagen, da hat jemand sein Leben nicht im Griff!

Der von dir zitierte Auszug aus Pres' Biografie stammt aus Joachim-Ernst Berendts "Jazzbuch". Was ich sagen will, der normative Gedanke der einsamen Künstlerseele, wie sie in den siebziger Jahren Gültigkeit hatte, mag sich im Laufe der Jahre gewandelt haben. An der Stelle möchte ich einmal fragen, ob es so etwas wie die Poetik (Abhandlungen über die Aufgaben und Funktionen der Dichtkunst) auch in der Musik gibt (etwa: Abhandlungen über die Aufgaben und Funktionen der Kunst des Musizierens), nämlich eine Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem künstlerischem Werk und seinem Leben über die verschiedenen Zeitepochen hinaus.

Hier wäre besonders interessant, wie im Laufe der Jahre sich das Bild des Musikers -- sagen wir vom gottesfürchtigen Minnesänger bis in die heutige Zeit verändert hat. An irgendeiner Stelle wird der Geniebegriff auftauchen, in der Literatur taucht er in der Sturm-. und Drangzeit auf, wo der Künstler den Anspruch hegte, sich aus der sterblichen Masse der einfachen Anderen abzusondern und mit seinesgleichen zusammenzutun und mit seinesgleichen zu produzieren.

Fliegt man nun vom Sturm und Drang hundert Jahre weiter, landet man in einem kriegserschütterten Europa und zu der Zeit hat es viele Versuche gegeben, sich künstlerisch neu auszudrücken und zu erklären. Lester Young hat das aufblühende Nachkriegseuropa, ein kulturell verunsichertes Nachkriegseuropa, erlebt, das sich (eingeschüchtert?) an der Neuen Welt orientierte. Das heißt, während Europa gestern noch im Schützengraben lag, feiert es am Tag darauf seine Jazz-Heroen, als wäre nichts geschehen. Überhaupt hat niemand darüber geschrieben, inwieweit die Menschen oder ganze Generationen durch die Kriege bis zum Vietnamkrieg bis heute (als Enkel der Traumatisierten!) paralysiert waren. Nur die sensibleren unter ihnen hatten den Fluchtpunkt "hier stimmt was nicht", und sie richteten ihren Protest über Jahrzehnte etnweder nach außen (etwa, indem sie ihre Popularität nutzten) oder nach innen (Drogenexzesse).

Richtet der Künstler seinen Weltschmerz nach innen, wird sofort seine Disposition augenfällig. Sie reicht (seit dem Sturm und Drang) vom einfachen Anderssein bis zur Geisteskrankheit. Irgendwo dazwischen liegt der suchtkranke Musiker, der auf der einen Seite seine bewusste Abspaltung als Ressource nutzt -- um seine Kunst aus der Masse herauszulenken, unter anderem aber auch unter dieser Abspaltung bis zur Drogenexzessbehaftung zu leiden scheint.

Sicher hat das Bild des Künstlers, wie Berendt es in der Pres-Biografie gezeichnet hat, heute nicht mehr die Gültigkeit wie vor vierzig Jahren. Dem alkoholkranken Künstler von heute würde man nahe legen, sein Geld in eine gute Suchtklinik zu tragen und sich am Riemen zu reißen. Vielleicht mit einem augenzwinkernden Verweis, dass es da draußen genügend Andere gibt, die durchaus dasselbe Talent haben, aber nur noch nicht entdeckt worden sind (DSDS). Doch welcher Talentscout hat heute schon die Zeit, die Heermassen an youtube-Filmchen auf einen Funken Genialität abzuklopfen? Da soll der Künstler doch selbst sehen, wie er sich vermarktet und er hat das Internet und das thumb-up seiner Fans und die Kommentarfunktion -- wenigstens als Ansporn mit der Kunst weiter zu machen.

Und dann, wenn er es doch geschafft hat? -- Wäre es nicht immens blöd, sich frustriert im Hotelzimmer mit der Flache Whisky in der Hand eins hinter die Binde zu kippen?

Wenn du nun schreibst, da sitzt der einsame Künstler im Hotelzimmer nach seinem Auftritt und sinniert über das schwarze Gefühlsloch, klingt das auf mich antiquiert und kitschig, einer Ordnung zugehörig, die es für mein Verständnis heute nicht mehr gibt.

Nun muss man sich aber einmal die Mühe machen und die heute gültigen Paradigmen herausfinden und auf das gegenwärtige Alltagserscheinungsbild abklopfen, denn irgendwo will der Künstler sich doch heute auch noch in seiner Gesellschaft verankert wissen. Zumindest dann, wenn er vor seine Bühne eine Kasse aufstellt.

Versuchen wir es mit Sartres Existenzialismus. Sartre spricht von einem Kontingenzschock als tiefe gesellschaftliche Erfahrung des modernen Menschen. Der Kontingenzschock ist das schlagartig auftretende Bewusstsein der totalen Auswechselbarkeit: für dich ist nichts vorgesehen, du hast keine Bestimmung, und wirst eines Tages tot sein und alles geht seinen gewohnten Gang weiter.

In der Kunst, so Sartre, liegt die Möglichkeit, diesen Schock produktiv zu überwinden. Wie gesagt: produktiv. ich sehe allerdings keinen großen Unterschied, ob man ein Kunstwerk durch der Hände Arbeit erschafft (bildende Kunst) oder sich für einen Abend selbst als Kunstwerk auf die Bühne stellt. Es heißt ja, diesen Schock zu überwinden, produktiv zu überwinden oder im Umkehrschluss: wenn du nicht produktiv genug bist, bist du selbst Schuld, wenn der Schock nicht überwunden wird.

Ha ha, ja, das ist interessant .... also gut, lassen wir das mit der Produktivität, wenn sie doch nur ein Verdrängungsmechanismus ist. Wir können uns gleich ohne die Kunst in ein einsames Hotel auf die Bettkante setzen und die Flasche heben und uns in Gedanken zuprosten: "wofür mache ich das alles, wofür rackere ich mich ab, wo am Ende doch so oder so der Tod steht und nicht einmal von meinem Ruhm etwas mitzunehmen ist?"

Für diesen Gedanken braucht es aber keine Bettkante, kein Hotelzimmer, ja nicht einmal einen Künstler. Jeder, der halbwegs ehrlich mit sich umgeht, wird sich diese Frage einmal gestellt haben (vielleicht sogar ohne Alkohol) und nun spielt es eigentlich keine Rolle mehr, ob man sich abends an die Kasse stellt und sich ein Ticket kauft, damit die trüben Gedanken wenigstens für diesen Abend weggefegt werden, oder ob man selbst dort oben auf der Bühne steht und den Schock mittels Bühnenproduktivität überwindet.

Dabei wird dieser Schock nie überwunden, nicht einmal, wenn man der geliebten eine Liebeslied ins Ohr flüstert. Wie auch? -- Wenn man noch genauer hinsieht wird der Kontingenzschock sogar von Tag zu Tag größer, denn desto älter ich werde, umso wahrscheinlicher wird nun auch der Tod! Wenn es also nun jemand schafft, mir diese unüberwindbare Angst doch noch wegzutreten, und sei es für einen winzigen Augenblick -- beim Betrachten eines Bildes, dem Hören von Musik, die uns ins Jenseits rückt, die so inspiriert ist, als wäre sie bar jeder Sterblichkeit, als leuchte sie ganze Felder Unsterblichkeit aus, als könnte sie in ihrem reinen Klang über alle weltlichen Gesetze hinwegfegen -- ja, dann ist es völlig natürlich (kann man hier nicht sogar von einer gesellschaftlichen Pflicht sprechen?), den Künstler herauszustellen, ihn auf ein Podest zu heben, ihn zu begrapschen, ihn nicht mehr loszulassen und ihn mit Haut und Haaren aufzufressen!

Das muss einmal gesagt werden ... und .... und jetzt muss jetzt selbst wieder produktiv werden :-)

Schöne philosophische Grüße,
von wallenstein
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 13:28 #90119

  • Dreas
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Uii Wallenstein,

starke Lektüre für einen verregneten Abend!!!

Übrigens:

Der Film "Lost in Translation" vermittelt hervorragend die Melancholie und Einsamkeit all derer, die es gewohnt sind einen Großteil ihres Berufslebens aus dem Koffer zu führen.

Und das betrifft beileibe nicht nur Musiker....

Beste Grüße,

Dreas
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 15:44 #90126

  • pue
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Pardon, ein bisserl zusammen gestrickt, Aldi weil immer neue Kommentare zu berücksichtigen waren:


Tach Wallenstein,

Nicht eine intelligente Volkszelle fraß die Stars auf, sondern die Vormachtstellung der Industrie. Die Zeiten der Massenhysterie ist doch längst Vergangenheit. Heute gibt Stars wie Elvis nicht mehr, weil das Medium sich demokratisiert hat. Genau diese antiquierten Stars aus dem 20. Jahrhundert gibt es kaum noch und sie werden zunehmend weniger. Rundfunk und Plattenindustrie haben nicht mehr das Monopol auf den Unterhaltungsgeschmack der Masse.

Und bitte vermengen wir das nicht: Prez lebte im Übergang des Jazz vom Swing zum Bebop. Ersteren zählt man zur Unterhaltungsmusik, zweiteren zur Kunst. Der Bebop war nicht nur der erste 'Kunstjazz', er ist auch im Kampf um die Rechte und den Lohn der Musiker entstanden. Es gibt kaum Aufnahmen aus den Anfängen des Bebop, weil die Musiker die Musikindustrie boykottierten, sich gegen die übermäßige Ausbeutung wehrten. Es ist ein ganz markanter Punkt in der Geschichte und ganz recht, ausgelöst wurde er durch den zweiten Weltkrieg. Die Tanzsalons mussten plötzlich Steuern auf Tanzmusik zahlen und die Musiker wurden als erste gefeuert.

Es ist der erste Streik schwarzer Musiker und der erste Schritt aus der Abhängigkeit von den Plattenfirmen. Der erste Schritt einer Kette von Emanzipationen, die noch nicht abgeschlossen ist. Es ist immer noch das Umdrehen der Herrschaftspyramide aus der letzten Philosophiestunde. Die Bebopper waren die ersten, die Hand an die Pyramide legten und wir sind leider noch lange nicht durch.

Nebenbei: was ich hier tue, ist eine 'Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem künstlerischem Werk und seinem Leben über die verschiedenen Zeitepochen hinaus.' Ich kann dich also beruhigen, es gibt das.
Und dann, wenn er es doch geschafft hat?
Was geschafft hat? Reich ist? Berühmt ist?
Die Frage ist von gestern. Aber sie täte es genau so als Überschrift dieses Threads. Sie zeigt nämlich auf ein antiquiertes Kunstverständnis, dass immer noch die großen genialen Heroen feiert. Sie zeigt die gesellschaftlichen Hierarchien auf, wie sie sich in deinem Kopf festgesetzt haben.

Kunst von heute ist nicht mehr besetzt von dem alleinigen Inszenesetzen der eigenen Persönlichkeit, sondern reflektiert gesellschaftliche Prozesse, ganz wie du es oben fordertest. Auch in der Musik. Die Jazzorchester mit künstlerischen Ambitionen begreifen ihre Arbeit doch nicht als Unterhaltungsbigband, die einzelne Stars gebiert. Ich glaube nicht, das ein Mitglied des Breukerkollektivs von sich sagt, 'er habe es geschafft'. Ist doch gar nicht das Ziel. Auch als Künstler musst du wirtschaftlich handeln, eine Stelle finden, die dir möglichst nahe liegt. Es ist ein Job wie jeder andere.

Zum Kontingenzschock: Ich sprach nicht von dem Künstler, der sich einen Abend auf der Bühne verkauft, sondern von der Ware Mensch. Nehmen wir Michael Jackson. Ach klar, wieder so ein Labiler. Er trug seine eigene Haut zu Markte. Ein gruselig Gespenst, was da zurück blieb. Wäre er mal bei den Jackson 5 geblieben. Im Kollektiv hätte er überlebt.


Christoph schrieb:
Kopf hoch, kommen auch wieder bessere Zeiten

mit keiner Silbe meinte ich mein eigenes Schicksal. Ich bin kein berühmter Musiker, schon gar kein Jazzstar. Weder beutet jemand meine Arbeitskraft und schon gar nicht mein Individuum als Ressource aus (höchstens ich selbst). Ich hab Marx gelesen und ziehe immer noch meine Konsequenzen auch daraus. Tut mir Leid, wenn ich selbstmitleidig rüber kam.

Der Müllmann verkauft seine Arbeit. Der Star seine Seele. Weder kann der Müllmann sich selbst verkaufen, noch der Star nur seine Arbeit. Das ist der ganze Unterschied.

Natürlich ist das super, wenn man mit dem, was einem Spass macht sein Geld verdient, bluemike. Dafür bin ich selbst höchst dankbar.
...wenn jemand Musik machen kann und das für etwas anderes bleiben lassen muss, dann ist das tragischer, als an der Musik und ihren Umständen zu zerbrechen.

Das kann ich nicht unterschreiben. Was ist schlimmer, als zu zerbrechen? Das genau ist der (Kino-)Stoff, aus dem die armen Poeten und der kaputte Jazzstar gestrickt werden. Er starb für die Kunst! Sie nahmen ihm alles, nur seinen Ton konnten sie ihm nicht nehmen, was für ein Held. Ich finde das eher traurig und in der Sache falsch. Nochmal meine Theorie: sie haben ihm seinen Ton entwertet und daran ist er gestorben.
Die These, dass gerade besonders labile Menschen Stars werden, finde ich abenteuerlich und bedient genau das gleiche Klischee des genialen, aber armen Künstlers. Ich will nicht verneinen, dass sogar viele Künstler selbst genau nach diesen gesellschaftlichen Klischees leben und damit gerade diesen entsprechen. Die gesellschaftliche Haltung der Kunst gegenüber koppelt ja zurück.

Ich hinterfrage weiterhin, ob der individuelle Ton das 'einzig Erquickliche, um das es sich zu mühen lohnt', ist.

Die Frage nach dem individuellen Ton entspricht der Frage nach dem Individuum selbst. Was würdet ihr einem Jugendlichen sagen, der euch fragt: 'wie werde ich eine Persönlichkeit?'?

Wer von euch hat seinen Ton eigentlich gesucht? Ich suche etwas, was mir abhanden gekommen ist. Wenn man lange genug mit einem Instrument rum macht, wird die eigene Persönlichkeit schon von selber vorne rauskommen.

Nein, mir sind die Mühen danach nicht das einzig Erquickliche. Wir haben ein Laienblasorchester, und sicher sucht auch dort der eine oder andere nach seiner Persönlichkeit, aber das ist nicht das Ding, worauf es ankommt. Das Erquickliche ist doch, dass eine Gruppe zusammen schwingt und klingt.
Das Orchester als Körper und Metapersönlichkeit klingt von der ersten Probe an. Natürlich trachtet es danach, noch besser zu klingen, aber es sucht doch keinen Sound.

Vielleicht ist es das, was ich fühle: es erhebt gar nicht den Anspruch darauf, 'kunstvoll' zu sein. Es spielt gerne, man trinkt, tutet, man hat eine schöne Zeit und kommt zusammen. Es ist erquicklich und erfordert noch nicht einmal große Mühen. Musik ist Kommunikation, Zusammenhalt, Kreativität. All das geht auch ohne den großen, eigenen Ton.

ät xcielo: es sollte weit über das Thema hinaus gehen. Das gehört zu meinem Ton. Das macht mir einfach Spass.

Ganz prinzipal gilt:

'das ganze hypomixolydischsyrischvermindert#11#13##15#17#18#19#21#23#25#27 gedudel klingt sowieso total gleich.

laßt das !
'

klingt !

Ich sage: Spielt!
Et klingt wie et klingt.
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 15:47 #90127

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@Dreas: Lost in Translation zeigt es super. Ich rieche die Hotelflure, wenn ich den Film sehe.
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 16:40 #90128

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Hi,
Die These, dass gerade besonders labile Menschen Stars werden, finde ich abenteuerlich und bedient genau das gleiche Klischee des genialen, aber armen Künstlers.

Das war nicht gemeint, wenigstens nicht von mir. Aber es lässt sich kaum verneinen, dass es einen Grund hat, warum jemand Musiker, Sportler, Schauspieler wird.

Lange Zeit war die einzige Möglichkeit, es als schwarzer Amerikaner zu was zu bringen, die, es als Boxer oder Sprinter oder Baketballer zu versuchen. Oder auch als Musiker. Je nach Disposition. Da sind es soziale Umstände (oder politische - wer will das trennen?)

Ebenso entscheiden sich Menschen dafür, Musik zu machen, weil sie sich dazu hingezogen fühlen. Niemand wird Musiker, weil er Musik nicht ausstehen kann (die werden Kritiker). Also muss eine gewisse Sensibilität dafür vorausgesetzt werden. Diese Art der (wertneutral) Empfindensmöglichkeit erstreckt sich auch auf andere Bereiche des Lebens. Und zieht manchmal Defizite in wiederum anderen nach sich. Muss nicht, kann aber. Und stimmt generalisierend sowieso nicht.

Der Arbeiter verkauft seine Arbeit und der Star seine Seele. Und was bekommt der Müllmann dafür? 1700 Brutto? Und der Star? Außerdem stimmt diese Rechnung nicht. Du verkaufst nicht nur deine Arbeit, sondern damit auch Teile deiner begrenzten Lebenszeit. Zusätzlich mit dem Resultat, dass du nach getaner Arbeit oft auch nicht mehr fähig bist, etwas Vernünftiges mit deiner Zeit anzufangen.

Was ist schlimmer als zu zerbrechen? An der falschen Sache, an dem falschen Umstand zu zerbrechen. Niemand garantiert doch, dass ein Leben abseits des Künstlerdaseins ruhig, gesetzt und problemfrei sein muss. Zerbrechen muss nicht Exitus im klinischen Sinne heißen. Zerbrechen kann Resignation, Alkoholismus, Flucht in Ersatzhandlungen sein. Im Übrigen kann man sich das vorher nicht aussuchen, ob man später als Musiker zerbricht oder als Lehrer, als Manager oder als Maler. Das weiß man immer erst hinterher.

Bei einer Sache bin ich absolut deiner Meinung: Man muss nicht zusammenkommen, um verkrampft Kunst zu machen. Es reicht auch, wenn man Musik und Spaß und Freunde hat.
next time you see me...
Letzte Änderung: 06 Mai 2010 16:43 von bluemike.
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Der individuelle Ton 06 Mai 2010 18:07 #90131

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Moin!

Ich glaube, dass gewisse Beiträge nicht irren!

Wenn ich die falschen Gründe von Zerfall der damaligen Musiker rauskürze, dann geht es überhaupt nicht um individuellen Ton/Klang, das Umfeld in dem sie sich bewegten war ja nicht der Gospel Gottesdienst, und zum anderen richtig Bluemike- Black & White Diskrepanzen!
Als Louis Armstrong zum Botschafter des Jazz ausgerufen wurde, da hat er richtig gut Geld verdient, und Lester Young nicht minder durch seine eigenen Bands und J.A.T.P.

Parallelen zum heutigen Künstler, gibt es nur durch den Erfolg an sich, welcher übermütig werden lässt, aber auch nicht bei Allen!


Hier geht es um den unverstandenen Künstler DIESER Tage, und nicht um die Künstler der Harlem Renaissance, die in einer Hochzeit lebten und in der Szene sehr gut verstanden wurden, weshalb es zur Blüte kam!



Da sollte man sich über Kunst an sich unterhalten, als den individuellen Ton als Aufhänger zu nehmen!


LG Hans
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