Wieso sollen sie sich nicht streiten? Ich finde Streit immer spannend und erst recht schöner, wenn er für alle sichtbar ausgetragen wird. Wenn den Streitenden nämlich die Bühne fehlt, wird es selbst ihnen langweilig.
Warum sollte man auch ständig einer Meinung sein? Ich bin nicht der Meinung, dass man durch Googeln die wahre Identität des Michael Jackson erfahren wird, weil -- dann wüssten wir sie wohl schon längst! Dass so viel gemunkelt und gedeckelt wird, wird die Kreativen aus den Löchern holen und ich bin sicher, dass wir schon bald Michael Jacksons Auferstehung feiern können, entweder als hoffnungsvollen Hollywood-Film oder als Musical.
Das war nach dem Tod Freddy Mercurys nicht anders und wenn ein Künstler zu Lebzeiten schon die richtigen Zutaten liefert, sprich irgendwie das Klischee "Zwischen Genie und Wahn" bedient (gewollt oder nicht), hat er gute Aussichten, nach seinem Tod als Mythos weiterverarbeitet zu werden.
Was dann allerdings als "Wahrheit" zurechtgebogen wird, wird alle Google-Treffer überbieten. Ich meine, wer einen Kinderstar wie Michael Jackson aufzüchtet -- die Rede ist von seinem Vater -- und sein eigenes Kind "Anschaffen" schickt, ist für einen Dramaturgen gefundenes Fressen! Die Frage ist nur, hält der Dramaturg sich an die Klischees, macht er Jacksons Vater zum Bösen, zum Ausbeuter (das kennen wir aus Ike and Tina Turners "Biografie")? -- Merke: nichts ist
more boring denn die Wirklichkeit. Mit ein wenig psychologischem Fingerspitzengefühl wird man Jacksons fehlende Kindheit später mit einigen hübschen Jungen um ihn herum "nachfeiern." Wer Geld hat, kann auch seine Kindheit zurückholen. Oder nicht? Wer Geld hat, wird ohnehin an seiner Unsterblichkeit feilen, da muss man als Hollywood-Drehbuchschreiber nicht einmal viele Zutaten hineinkomponieren. Aber ihr könnt sicher sein, dass keine Fragen am Ende offen bleiben, dass Jackson kein Geheimnis mit ins Grab nimmt. Die Antworten wird man ihm andichten. Apropos, was haltet ihr von der Aussicht, dass er Opfer eines Mordanschlags geworden ist?
Wahrscheinlich haltet ihr meine Gedanken für ketzerisch: Eh, der Gute ist gerade erst zwei Tage tot, noch nicht einmal beerdigt, und schon ... aber ja! Die
Music Business Machine schläft nicht, im Gegenteil, sie läuft schon jetzt auf Hochtouren, da könnt ihr sicher sein und wenn Michael Jackson sich ihr zu Lebzeiten nicht widersetzen konnte, wie dann nach seinem Tode?
Jetzt geht es um die Wurscht. Jetzt geht es um die, wie Hans schreibt, hundert Millionen Fans, die M. Jackson weltweit für toll halten, aber auch diejenigen, die in seinen Garten pinkeln, denn die kommen freiwillig dazu.
Allein die, die ihn weder gut noch schlecht fanden, die ihn schlichtweg gar nicht kannten, kommen neu dazu. Sagen wir, eben um derer Willen muss man sich jetzt verbiegen, denn sie sind diejenigen, dererwegen der Plot, die wahren Lebensumstände Michael Jacksons zugunsten einer packenden Story verbogen werden muss. Das ist jetzt das Hauptaugenmerk, denn auch Geschichtenschreiber steht der Sinn nach Unsterblichkeit und für eine gute Geschichte geben sie alles, denn sie überlebt Generationen!
Ihr werdet sehen.
In meiner Teenie-Zeit, die natürlich absolut von der Musik Michael Jacksons geprägt war, gab es für die Mädchen eigentlich nur zwei herausragende Idole: Michael Jackson oder Prinz. Ja, ich wurde ständig gefragt, wen findest du besser? Hm ... Ich fand Prinz besser, gestehe. Damals fand ich das, was Michael Jackson gemacht hat, unerträgliches Gezappel. Aber heute weiß ich, dass beide als Musiker unvergleichlich gut waren/sind und beide großartige Musikgeschichte geschrieben haben.
In diesem Medienrummel-Hype, allerdings, versteht man als Jugendliche nicht, dass Musik ein Job ist wie jeder andere. Man sieht nur das Idol auf der Bühne und die Musik die von
irgendwoher kommt. Dann hat man diese vielen Dinge -- T-Shirts, Gürtelschnallen, Poster, Plattenwerbung, Sticker, Fan-Alben, Kugelschreiber, und so weiter, und und und ... vielleicht auch die beste Freundin, mit der man schwärmen kann und die Hormone tun das Übrige.
In der Disco rockten wir ab, damals. Ich war Abend für Abend im Old Daddy und tanzte zu "ABC-123" oder "Beat it" und "Billie Jean", "Daylight I'm Bad, I'm Bad - who's bad?" Ich erinnere mich. "Startet something" und ein Wolfsgeheul lief, ich liebte diesen geraden schweißtreibenden Beat, "Dirty Diana", zum Beispiel, der so viel Interpretation beim Tanzen und sexuelle Ausdruckskraft bot. Ja, das war die Praxis, ich mochte Michael Jackson nicht, aber seine Musik hat mich stets auf die Tanzfläche getrieben. Auch das ist eine Kunst!
Aber ich kenne den Mann nicht. Ich fand immer, er klinge gehetzt, aber auch immer so etwas von "auf den Schlag." Ich dachte, sein ganzes Leben liefe AUF DEN SCHLAG, diesen Schlag -- und er kann da gar nicht mehr heraus. Mir juckt es heute unter den Nägeln das literarisch aufzuarbeiten.
Bei "all i wanna say ist that they don't really care about us" habe ich mich damals ausgeklinkt. Dieses "we are the world" in Michael Jacksons Musikgeschichte stank mir zu sehr nach Kommerz. Nicht, dass es zuvor keinen Kommerz gab, aber da war es Musik und jetzt war es ein Appell. Auf einmal war der Junge gewachsen, nutzte seine Publicity, aber es kam mir nicht richtig vor. Ich denke, viele Musiker sind in dieser Zeit in der Glaubwürdigkeit gefallen. Oder gestiegen. Paul Simon, zum Beispiel, dem konnte ich es abkaufen. Aber Michael Jackson hatte die
Music Business Machine im Nacken, das spürte man, Hype war für ihn nach wie vor, was angesagt war.
Oh Mann, jetzt habe ich mich heftig festgequatscht (trau nie jemanden, der schreiben tut, er lässt dich nicht wieder los!)
Wie auch immer, Michael Jackson war eigentlich keiner von uns. Sein "We are te world" haben ich ihm, wie gesagt, nicht abgekauft, auch die Schönheits-OPs nicht. Auch die Sache mit den kleinen Jungs nicht. Eh, wir wissen doch, was negative Presse ist, aber bei Michael Jackson war ich unsicher. Es könnte was dran sein, dachte ich ... vielleicht, aber ich kannte ihn nicht.
Gut finde ich, dass er seine Lebenskerze an beiden Ende abgebrannt hat, dass er sich mit fünfzig einer Welttournee stellen wollte. Er hat es gut gemacht, denke ich, er hat es auch gut gemacht, wie er sich aus dem Leben gestohlen hat und irgendwie -- wenn ich mir die Videos heute ansehe, spüre ich, dass dieser Mann ein Jugendidol war. Dass er vielleicht auf der Suche nach der ewigen Jugend war. Dass er vielleicht eines nicht werden durfte, nämlich alt!
Rest in Peace, Michael Jackson
LG, wallenstein