Ich hab kürzlich mal einen Artikel von Tom Alexander im Internet gefunden, der sich generell mit der Mundstückfrage beschäftigt und zu einigen interessanten Schlußfolgerungen kommt. Ich hab den Artikel ins deutsche übersetzt (sinngemäß nicht wörtlich) und stell diese Übersetzung hier mal zur Verfügung. An 2 Stellen hab ich kleinere Abschnitte weggelassen. Vielleicht läßt sich auf der Basis dieses Artikels noch das eine oder andere diskutieren.
Wer lieber das englische Original lesen will, der findet es
hier.
Die Suche nach dem Nirwana - das perfekte Mundstück!
Von Tom Alexander und Dave Liebman
Keine Frage eine ziemliche Zahl von Saxophonisten leiden an einer Form einer heimtückischen Krankheit, die eine nahezu obsessive Suche nach dem "perfekten" Mundstück zur Folge hat. Auf der Suche nach dem Mundstück des "Heiligen Grals" probieren sie Mundstück für Mundstück, was zur Folge hat, daß sie jedesmal das setup, ihren Ansatz, die Formung des Rachens, die Stütze usw anpassen müssen und darüber hinaus viel Zeit und Geld investieren. Dabei ist die Chance äußert gering ein neues Mundstück zu finden, daß alle anderen in den Schatten stellt. Die Wirklichkeit sieht jedoch so aus:
Die Prinzipien des Mundstückdesigns existieren seit Jahrzehnten beginnend mit Otto Link und es ist
Schwindel, daß einige "komplett neue Entwicklungen" gewaltige Fortschritte in der Tonerzeugung bringen. Einige Hersteller begründen den Fortschritt der letzten 20 Jahre mit der Entwicklung und Einführung super hoher baffles und super enger Kammern, die dem Spieler die Möglichkeit geben, laut und hell strahlend zu spielen jedoch auf Kosten der Körperhaftigkeit (body). Dies mag im Bereich der Rock- und Fusion Musik wünschenswert sein quasi wie Elektro Gitarren zu klingen, ist jedoch zB im Bereich Jazz wo akkustische Instrumente aufeinandertreffen unangebracht. Mit den neuen Mundstücken wird versucht, sich gegen die elektrisch verstärkten Rhytmusgruppen zu behaupten, jedoch auf Kosten eines vollen körperhaften Tons, für den das Saxophon gemacht wurde. Haben unsere respektierten Lehrer uns nicht beigebracht ein setup zu benutzen, das den Tonumfang des Instruments zur Geltung bringt und das es gestattet, mit dem Ton anderer Instrumente zu verschmelzen?
Eine Regel über das setup (Mundstück und Blatt) sollte nicht vergessen werden nämlich die Ausgewogenheit. Ähnlich wie in der Malerei sucht der Musiker eine große Pallette von Klangfarben
auf seinem Instrument wiederzugeben. Wenn in der Farbenpallette nur schreiendes gelb oder orange existiert, ist diese Pallette sehr eingeschränkt. Das kann für kurzzeitig ganz nett sein, aber ist es auf Dauer nicht ermüdend? Was ist mit blau, grün, braun, schwarz oder weiß oder allen Zwischentönen? In jeder Form großartiger Musik gibt es einen gemeinsamen Faktor den der Variation der Tonfärbung, die ein Ausdruck des künstlerischen Willens ist. Je mehr Farbtöne das setup zur
Verfügung stellt, um so mehr Ausdrucksmittel besitzt der Künstler. Oder anders gesagt der Künstler
wird nicht in eine Schublade gezwängt, die nur begrenzte Ausdrucksmöglichkeiten bietet.
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Nochmal, ein Mundstück zB mit hoher baffle und enger Kammer gibt dem Spieler Lautstärke und edge
so als würde er auf einer elektrischen Gitarre spielen. Er hat das Gefühl von Lautstärke und edge,
aber wenn er die gleiche Aufnahme im nachhinein mal abhört wird er einen dünnen, harschen Ton
hören und zudem Intonationsprobleme wahrnehmen, er wird feststellen, daß er Schwierigkeiten hat,
die ganz tiefen Töne zu spielen und mit den übrigen Instrumenten zu einem Klangkörper zu
verschmelzen.
Eine Regel besagt, daß es einfacher ist, auf einem Mundstück mit großer Kammer und medium baffle
mit mehr edge als umgekehrt auf einem engen Mundstück mit hoher baffle mit großem Ton zu spielen.
Die Tongröße kann man direkt am Mundstückdesign erkennen, große Kammer ergibt einen großen Ton, enge Kammer ergibt einen dünnen Ton. Ein Ton, der über ein enges Mundstück ins Saxophon gelangt, wird dieses nicht im vollen Tonumfang zum resonieren bringen. Es ist ähnlich, wie wenn man eine
Glocke statt mit einem Schlägel mit einer Autoantenne zum Schwingen bringen will.
Des weiteren sollte man sich klarmachen, daß der Ton aus dem Instrument vom Spieler kommt, wobei das Instrument eine Art Kanal zischen dem Spieler und dem Zuhörer bildet. Der Spieler lernt die
Tonbildung mit Holzblasinstrumenten in erster Linie durch das Studium und Praktizieren von
'long tones'. Das bedeutet der Spieler betritt ein "Tonlabor", in welchem er stunden- ja jahrelang
seinen Ton bzw sound übt und verfeinert. Ich erinnere mich an die Berichte über Spieler, die ich bewunderte, die sich tief und umfassend mit der Ausbildung ihres Tones in 'long tone' Übungen befasst haben wie zB Charlie Parker und John Coltrane. Diese beiden Genies verbrachten ungeheuer viel Zeit im Übungsraum (woodshed heißt eigentlich Holzschuppen) mit der Entwicklung des Tons durch long-tone Übungen. Im Falle von Trane war es nicht nur so, daß sein Ton "hip" war. Der Ton ging über das hinaus so als ob der Ton selbst eine Botschaft enthielt. Die Tonbildung läßt sich vergleichen mit der Arbeit eines Juweliers wenn er einen Edelstein bearbeitet. Der Ton eines Spielers ist es schließlich, was der Hörer als Identität des Spielers registriert. So wie jeder unbehandelte Juwel Schleifarbeit benötigt, um seine Schönheit und Einmaligkeit herauszuarbeiten, so ist der entwickelte Ton das Endprodukt einer jahrelangen Arbeit am Ton und es gibt viele legendäre Spieler, die man an der Einmaligkeit ihres entwickelten Tons erkennt und die unvergeßlich bleiben.
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Welche Rolle sollte das Equipment bei der Tonbildung spielen? Am besten ist es mit einem mittleren setup wie mittlere Kammergröße, mittlere Mundstücköffnung und mittelstarke Blätter zu beginnen. Dies ist jedoch keine fixe Regel. Ein Vorteil ist es, daß man vom mittleren setup ausgehend sich relativ leicht in die eine oder andere Richtung also in die helle oder dunkle, laute oder weiche Tonrichtung bewegen kann. Ein anderer wesentlicher Vorteil ist der, daß das mittlere setup eine bessere Kontrolle der Intonation ermöglicht. Radikale setups vergrößern die Gefahr von Intonations- und Kontrollproblemen und von brüchigen und harschen Tönen zB im tiefen oder hohen Register.
Ausnahmen bestätigen die Regel. Sehr erfahrene Spieler greifen manchmal zu extremen setups und sind trotzdem in der Lage mit ihrem gewaltigen Ansatz den Ton in jede gewünschte Richtung zu formen und zu kolorieren. In dieser Spielerliga finden wir einen Sonny Rollins mit einem sehr offenen Berg Larsen (obwohl er auf seinen frühen Aufnahmen zB aus den 50-iger Jahren niemals besser geklungen hat als damals auf seinem nicht so offenen Link), oder Wayne Shorter auf einem 10* Link (heute vielleicht benutzt er wieder ein nicht so offenes?), oder Steve Lacey auf einem 12* und einige andere.
Andererseits gibt es einige Spieler mit herausragendem sound, die dem Mittelweg treu geblieben sind: Coleman Hawkins (Hawkins Special No. 6), Ben Webster (Tone Master No. 5), Lester Young (Tone Master No. 5), Trane in seiner besten Phase was den Ton angeht (50-iger, frühe 60-iger Jahre) mit seinem 5* Master Link, Cannonball Adderly und Phil Woods (Meyer 5), Joe Henderson (Selmer D oder E).
Interessant ist auch, daß sehr erfahrene Spieler aus einem setup mit relativ großer Kammer, niedriger baffle, durch den Gebrauch entsprechender Blätter, durch Ansatz und Stütze, edge (einen obertonreichen Ton) erzeugen können. Bird und Trane zB fanden einen Weg mit ihren setups mehr edge und Tragweite (projection) zu erzeugen, dies wahrscheinlich mit sehr harten Blättern (Bird spielte Blattstärke #5). Beide hatten einen gewaltigen sound in jeder Hinsicht, den sie mit durchschnittlichen Mundstücken erzielten. Die Ursache war, daß ihr stark fokussierter Ton ganz unten sozusagen aus den Tiefen ihres Gedärms (guts) in Form eines gewaltigen Luftstroms (air stream, Stütze) hervorbrach. Es erstaunt mich immer wieder, wie sie ohne gute Mikrofone oder hohe baffles in der Lage waren, solch einen Ton zu erzeugen. Aber sie kannten das Geheimnis des Luftstroms und der Projektion und wie man das meiste aus dem Herzen eines Blattes herausholen kann. In dieser Hinsicht waren sie Zauberer.
Ein weiteres Beispiel war Joe Henderson in seine letzten Jahren. Sein Ton war derartig raumgreifend und fokussiert, ein Wahnsinns sound, trotzdem warm und gleichzeitig strahlend (edge). All dies erzielte er mit einer mittelgroßen Kammer, mittlerer Öffnung und einem medium harten Blatt. Joe lüftete das Geheimnis des fokussierten Luftstroms (air focus) und der Tonmanipulation nach seinen künslerischen Ansprüchen. Dies hat er vielleicht von den Spielern der 40-iger Jahre gelernt, die lernen mussten, sich in einer bigband ohne Mikrofon durchzusetzen.
Werfen wir einen Blick auf das Tenor. Hat es jemals einen hipperen sound angefangen mit Hawk-Prez-Dex-Newk-Stan etc und endend mit Trane/Wayne/Joe Henderson/Dave Liebman/Joe Lovano und späteren cracks gegeben als den, wenn sie auf einem vintage Mundstück, französischen Blatt und einem vinatge oder vintage beeinflußten Horn gespielt haben? Das gleiche gilt mehr oder weniger für Sopran, Alt und Bariton. Natürlich gibt es auch großartige Spieler mit anderem setup, aber wenn man auf das ganze umfassende Bild schaut, kristallisiert folgendes setup als das setup heraus: Otto Link artige Mundstücke, französische Blätter und vintage Hörner. Obwohl sich der Musikstil in den letzten Jahrzehnten radikal änderte, wurde die Musik auf sehr ähnlichen setups gemacht.
Mir zeigt das, daß die Intrumentenbauer der vergangenen Tage eine Formel gefunden haben, egal, ob es sich um die Herstellung von Blättern, Mundstücken oder Instrumenten handelt, die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren hat. Lediglich im Mundstückbereich bevorzugen heutzutage einige Spieler andere designs. Viele greifen zu offneren Mundstücken (7-9) mit mehr oder weniger baffle. Ok, heute können wir Leute auf den Mond schießen, aber gibt es irgendwas, was besser klingt als eine Stradivari, oder ein Otto Link, oder Brilhart, oder Meyer, oder Selmer, besser klingt als ein Steinway, oder ein Gretsch Schlagzeug, eine Hammond Orgel oder ein vintage Saxophon? Auch wenn sich der Instrumentenbau weiterentwickelt, die fundamentalen Erkenntnisse wurden vor langer Zeit gemacht.
Wie heißt es doch so schön, der Ton macht die Musik, das Ziel sollte sein einen sound zu entwickeln der folgende Eigenschaften hat:
KÖRPER (BODY)
LEBENDIGKEIT (PRESENCE)
KRAFT (POWER)
RAFFINESSE (SUBTLETY)
WÄRME (WARMTH)
FARBE (COLOR)