Seine eigene Kunst, seine eigene Musik zu machen und davon zu leben, geht in den aller seltensten Fällen.
Das sehe ich auch so. Denn es gibt nur einige wenige Musiker, die sich auf eine einsame Insel zurückgezogen haben, die ihre eigene Kokosplame haben, die sie täglich melken, und sie somit damit durchkommen.
Eben diese können von ihrer Kunst leben.
Wenn man zum "Künstlern" allerdings zwecks Überlebenschancen Fremdpalmen ... äh, Fremdgeld benötigt, bedarf es einiges Glücks.
Es gibt einige Künstler, die "es" geschafft haben. Sie stehen auf der Bühne, abend für abend und sind de facto Künstler, weil sie davon leben können. Aber -- und das frage ich mich -- ist denn dies, was sie machen, wirklich Kunst?
Rod Stewart habe ich in den Siebzigern verehrt und ich fand ihn ungeheuer inspirierend, weil er meinen Weg also Teenie in meinen Teenie-Träumen begleitet hat. Ich war mächtig sauer, als er damals Alana Hamilton heiratete und hatte die Ära der gefärbten Haare durchzustehen: "Blondes have more fun." Ich fand Rod Stewart damals musikalisch besser als Queen und das hat mir viele Diskussionen eingehandelt. Ich fand -- allein wegen dieser Überlegungen und Diskussionen -- die damalige Rod-Stewart-Zeit sehr anregend für meine Entwicklung.
Heute müsste man mich totschlagen, ein Konzert von ihm ("Da ya think I'm sexy?") zu besuchen, aber eben hier setzt doch die Projektion ein, wie ich meine: Manche leben in ihrem Jugendtraum heute noch und blättern Unsummen hin, ihr Idol noch einmal live lebend zu sehen.
Ich nicht. Für mich hat seine Show heute nur noch wenig inspirierende Kraft, für mich ist sie nicht mehr als ein kunsthandwerkliches Remake!
Frau Rieckermann wird sowohl optisch als auch musikalisch in diese Show passen, das steht nicht zur Diskussion. Für sie wird es vielmehr -- so schätze ich die Sachlage ein -- schwer sein, sich aus dem Schatten der Rod-Steward-Chose herauszulösen und sich selbst als Künstlerin zu empfinden und herauszustellen.
Doch was ist eine Künstlerin? ich halte die Definition "Jemand, der/die anderer Leutz Geld locker machen kann, um deren Freizeitunterhaltung zu sichern" für zeitgemäß, aber nicht ganz für richtig.
Denn man fühlt doch, dass etwas fehlt.
Gestern habe ich im Interview eines Literaturagenten gehört (er hat über Künstler, Schriftsteller, gesagt): "Sie sind wie Seismografen, sie sind ihrer Zeit voraus, sie sind die Herzschrittmacher der Nation."
Nur leider -- wenn sie einmal in die Nahrungskette der reproduzierbaren Kunst aufgenommen worden sind (davon träumen sie ja alle) wird auch diese Kunst grenzwertig, verwässert, verdaut und wiederaufgekäut, bis der Künstler willig Tantiemen einsammelt, Groß/Kindergroßzieht, übliche bürgerliche Vorsorge trifft und sich übliche Alterswerte schafft. Hm, einer, wie alle, kann man erleichtert sagen.
Aber Künstler?
Mir tut es Leid für den Buchhalter, der in seinem Buchhalterleben sehr präsent ist, der seinem Job jeden Tag etwas Neues abverlangt, der ganz und gar wach und ideenreich seiner Arbeit nachgeht, der in seinem Alltagsleben eine poetische Sprache pflegt, Saxophon spielt, womöglich, der aber doch kein Künstler ist, weil dieses Wort Leuten vorbehalten ist, die Abend für Abend dasselbe erfolgversprechende Publikumsgewäsch veranstalten -- ob sie Kopfschmerzen haben, ob die Mutter gestorben ist oder das Kind sich beim Rollerfahren eine Schürfwunde zugezogen hat.
The show must go on.
Mir persönlich ist egal, wer von seiner Kunst leben kann. Ich empfinde Leute, die von "der Kunst" leben können nicht Künstler, oft nicht. Mir ist wichtig, dass es Menschen gibt, die Kunst ausüben, und zwar solche, die mich über meinen Alltag hinaus inspirieren kann. Egal, ob auf der Bühne, hier im Forum (in einem Posting) oder anderswo.
Vielleicht sogar auf dem Weg zum Klo
Künstlerische Grüße,
von wallenstein