Die Sprache ist ein sehr mäßiges Instrument der Kommunikation. Wenn man sich nur schriftlich ausdrücken kann, ist es noch schwerer.
In einem Forum treffen Personen aus völlig unterschiedlichen Regionen, Lebensbereichen und unter Umständen Kulturen aufeinander. Jeder hat seine eigene Lebenserfahrung und Persönlichkeit. Das führt zwangsläufig immer wieder einmal zu Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnissen.
Wenn ich im richtigen Leben meinem Kumpel mit einem breiten Grinsen und einem fröhlichen "He Du alter Sack" auf die Schultern klopfe, dann versteht er was ich meine, weil er mich und meine Art persönlich kennt. Die gleiche Geste kann in einer fremden Stadt bei einem Unbekannten entweder ein blaues Auge bedeuten, oder die sofortige soziale Ächtung. Im richtigen Leben versucht man so etwas auch aus gutem Grund daher meist zu vermeiden. Das ist insofern leichter, weil man das aktuelle Umfeld in der Regel sofort als "fremdes Territorium" erkennt, in dem eventuell andere Regeln gelten.
Durch das Internet sind diese Grenzen aber gefallen, und alle bisher geschützten Gruppen treffen ohne Vorwarnung aufeinander. Eine Begrüßung wie die obige wird daher mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer zumindest Irritation auslösen. Mein fröhliches Grinsen und der freundliche Handschlag kommen als Text auch nicht so gut rüber, und für sich alleine könnte man das durchaus für eine handfeste Beleidigung halten.
Es macht also schon Sinn, sich bevor man eine Nachricht an einen (oder Tausend) Unbekannten schickt, ein paar Gedanken darüber zu machen, wie das beim Gegenüber möglicherweise wahrgenommen wird. Man sollte jedenfals nicht automatisch davon aus gehen, dass jeder zwangsläufig die gleiche Art von Humor hat und überall die gleichen Umgangsregeln gelten.
Jedes Wort, jeder Satz transportiert Informationen auf mehereren Ebenen. Natürlich in erster Linie einmal der rein nüchterne Sachverhalt. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist aber auch die Art, wie es formuliert wird, in welchen Zusammenhängen und natürlich auch das was NICHT gesagt wird. Wenn ich mir ein wenig Mühe gebe, kann ich jemandem mit freundlichen Worten, nüchtern und sachlich eine verbale Ohrfeige verpassen, dass er nicht mehr weiß, wo vorne und hinten ist. Trotzdem kann ich mich immer darauf berufen, dass er das nur missverstanden hat. GESAGT habe ich doch ganz eindeutig etwas anderes.
Leute, die generell gerade heraus sagen, was sie denken und wie sie es denken, transportieren oft unbewusst Bedeutungen, die den gesprochenen oder geschriebenen Worten widersprechen und beim gegenüber anschließend "falsch" ankommen. Nicht jeder hat die Zeit oder die Gabe, eine Antwort so zu formulieren, dass alle möglichen Nebenwirkungen ausgeschlossen sind. Hier verlangt sicher niemand, das alle Teilnehmer die hohe Schule der internationalen Diplomatie erfolgreich gemeistert haben, bevor sie Schreibberechtigung erhalten. Sollte aber der Eine oder Andere feststellen, dass häufig die Mehrheit der Personen das Gesagte missverstehen, dann lohnt es sich schon, an der eigenen Ausdruckskraft zu arbeiten. Anderenfalls wird man sich immer frustriert in der "keiner versteht mich" Ecke wieder finden.
Umgekehrt muss man als Leser aber auch damit rechnen, dass der Schreiber mit seiner Wortwahl in SEINER Umgebung möglicherweise nicht genau das ausdrückt, was in MEINER Umgebung darunter verstanden wird. Es hilft, wenn man von der Prämisse ausgeht, dass in einem Dialog beide Seiten es grundsätzlich gut meinen. Speziell in einem Internet Forum, wo es zum überwiegenden Teil darum geht, anderen Menschen zu helfen.
Ein empfundener Mangel an sprachlicher Finesse bedeutet ja noch lange nicht, dass die Meinung oder der Rat deshalb weniger wert oder weniger richtig wäre. Es bedeutet auch nicht automatisch, dass es absichtlich respektlos oder herablassend gemeint war. Da ich selbst Leute kenne, deren mitunter ruppige Art bei vielen Menschen zunächst auf Ablehnung und Unverständnis stößt, die sich aber bei näherer Bekanntschaft als liebenswerte Menschen entpuppen, versuche ich, so oft es geht, meinen ersten Anfall von Ärger über eine patzige Bemerkung runter zu schlucken. Das geht natürlich auch nicht immer. Es hilft auch, die eigene Antwort nicht gleich abzuschicken, sondern erst einmal einen Tag abliegen zu lassen. Ich habe auch son ein paar mal lange und böse Antworten nach dem "Abliegen" ungesendet wieder gelöscht - weil es den Streit gar nicht wert war.
Es hilft auch, wenn man sich daran erinnert, dass es nur sehr wenige Dinge gibt, die nur eindeutig richtig oder eindeutig falsch sind. Und von diesen wenigen Dingen können noch weniger durch Diskussion eindeutig entschieden werden. Meistens können Dinge unterschiedlich und trotzdem nicht weniger "richtig" beurteilt werden. Das gilt auch für Meinungen, die von meiner eigenen abweichen.
Die Verwendung von "Smilies" möchte ich an der Stelle im Übrigen unbedingt empfehlen.
Die sind nicht nur Firlefanz, sondern ersetzen tatsächlich sehr gut die nonverbale Kommunikation, die in der rein schriftlichen Nachricht sonst zu kurz kommt. Außerdem sind sie geschickter Weise so gestaltet, dass selbst die "bösen" Smilies
keine Aggression vermitteln, sondern geeignet sind, die Spannung aus der Konversation zu nehmen. Man bewirft sich quasi nicht mehr mit Steinen sondern mit Gummibärchen. Das drückt das gleiche aus, tut aber weniger weh.
Ich habe übrigens schon an Mailboxen und "Bulletin Boards" geschrieben, da war von Internet noch überhaupt keine Rede. Interessanterweise findet man immer noch Nachrichten aus der Zeit, jetzt als Internet Nachrichten archiviert, wenn man weiß wonach man suchen muss. Das ist jetzt über 20 Jahre her. Heute wird jedes Wort, das man einmal unvorsichtig formuliert hat, für alle Zeit archiviert und ist auch nach vielen Jahren noch als Schandfleck auf dem digitalen Fußabdruck im Internet sichtbar.
In der Mailboxer Szene gab es eine Regel, die immer und immer wieder mit gutem Grund gepredigt wurde und die heute nicht weniger gilt:
Sei nicht beleidigend und sei selbst nicht leicht beleidigt.
Mehr braucht es nicht, um Eskalationen entweder gar nicht erst aufkommen zu lassen, oder diese rasch wieder zu einzudämmen.