Nun, bei Licht betrachtet haben wir alle eine Idee und Vorstellung von dem, was wir meinen, was wir sind. Desto älter wird sind, umso komplizierter ist diese Vorstellung und diese Vorstellung ist mit wunderlieben Attributen gefüllt: hilfsbereit, verständnisvoll, tolerant, musikalisch, humorig und so weiter. Nur die negativen Attribute fehlen, oder wer behauptet gerne von sich: ich bin ein Angsthase, ich habe Schiss vor Kritik und Ablehnung. Meist hat man sein Programm, das erleichtert, eben diese Schwächen zu vertuschen. Doch auf der Bühne ist kein Raum für dieses Programm, da lautet das Programm Musik machen. Es würde auch komisch klingen, wenn ein Musiker zu seinem ersten Auftritt ans Mikro tritt und erst einmal ein wenig über sich und sein Wesen plaudert.
Doch eben das könnte die nötige Spannung abbauen. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Auftritte, Vorträge, Lesungen. Die Vorbereitung war nicht das Thema, wer geht schon unvorbereitet in solche Ereignisse? Der Konflikt lag vielmehr darin, dass die Anspannung zu schwer zu verbergen war. Entweder zitterten die Finger so sehr, dass sie nicht einmal die kleinste Klappe drücken konnten, oder die Stimme war einfach weg. Das ist der
worst case und ich merkte schon öfter, dass eben der eintreten wird. Zum Glück vergebe ich mir nichts, das offen zuzugestehen. Ich habe als Kind bei einem Konzert einmal nicht spielen können vor Angst, da habe ich mich rausziehen wollen, aber das wäre fürs Quintett übel gewesen. Also hab ich vor dem Publikum auf der Bühne gesagt, dass ich das Gefühl habe, vor Lampenfieber tot umfallen zu müssen, und ich nicht spielen werde. War halt so. Nachdem das Publikum derart vorgewarnt und ich letztendlich doch überredet war, ging es super. Dasselbe war mir bei der zweiten Führerscheinprüfung passiert: Weil ich bei der Ersten durchgefallen war, hatte ich solch eine Angst, dass ich gar nicht mehr Autofahren konnte! Hab ich sofort kundgetan und der Prüfer hat sich arg ins Zeug gelegt, mehrmals Gnade vor Recht walten lassen und es lief alles einwandfrei. So hatte ich wieder Glück.
Im letzten Jahr gab es einen igeligen Auftritt: eine öffentliche Lesung in einem menschengefüllten Saal. Auf der Bühne mit Mikro. ich war bannig nervös, wollte das schon kundtun, aber seltsamerweise war die Angst schon beim ersten Satz wie weggeflogen. Im Gegenteil fand ich es absolut geil, dass mir endlich jemand mal zuhört.
Wie schön -- konnte mich selbst überraschen
Wichtig finde ich, dass man sich nichts vorspielt. Was ist schon schlimm an der Angst? Schlimm ist, wenn man so tut, als wäre sie nicht da. Das spüren die anderen sofort und dann wird es brenzlig.
Meine Mutter litt ihrerzeit unter entsetzlicher Flugangst und war deswegen in Therapie. Was hat die Therapeutin gesagt? -- Sie hat gesagt: "Angst komm mit, wir gehen jetzt fliegen!"
So halte ich das auch mit meinen Ängsten: "Angst komm mit, wir gehen jetzt spielen, auf der Bühne, mit Saxophon." Falls das doch nicht reicht, spiele ich lieber mit offenen Karten und gestehe freiwillig, dass mir der Stift eins zu Tausend geht.
Ich möchte noch etwas anderes sagen. Im letzten Jahr war ich auf drei Musikkonzerten, die mir allesamt zu denken gaben. Zum einen waren die Karten sehr teuer und es waren hochdotierte Musiker und alles perfekt und jeder eine Konifere (hi hi) auf seinem Gebiet. Keineswegs konnte man sagen, dass sie ihr Geld nicht verdient haben. Aber, bei allen drei Konzerten hatte ich den Eindruck, es fehlt etwas: der berühmte Funke, der überspringt, der das Publikum entfacht. Ich hatte den Eindruck, hier würde so glatt gespielt, dass man sich ebenso eine CD hätte anhören können und eines der Konzert war so aalglatt und die Musiker so gut (wirklich!), dass die Leute in Scharen nach der Pause nach Hause hingen. Warum? Das Programm war bar jeder Empathie vorgetragen, die Menschen auf der Bühne synthetisch wie Studiomusiker. Man konnte sich nicht einmal vorstellen, dass es ihnen etwas ausmachte, wenn die Hälfte des Publikums nach der Pause fehlte.
Sicher, hier hatte niemand mehr mit Bühnenangst zu kämpfen, aber ich dachte, wie viel authentischer ist doch vergleichsweise unser Gruppenvorspiel in der Musikschule, für das die Kinder büffeln und schwitzen und voll nervöser Anspannung kaum etwas herausbringen, aber trotzdem sitzen die Eltern mit nassen Augen im Publikum und freuen sich den Wolf, wenn der Sproß von der Bühne hüpft und völlig erleichtert das Gefühl verströmt, "es" geschafft zu haben.
Ich denke also nicht, dass es oberstes Ziel ist, die Angst zu überwinden, denn Angst ist nicht zu überwinden. Ich denke, es ist besser und authentischer zu sagen: "Angst komm mit!"
Schöne Grüße,
von wallenstein