Moin,
hire sind ja schon so viele tolle Dinge zum Thema Lampenfieber gepostet worden, auf die ich im Einzelnen gar nicht antworten kann. Trotzdem (weil ich ja die "böse" Kurve reingebracht habe, ohne sie vernünftig oder ausreichend zu kommentieren - sorry, war dann doch zu müde gestern) noch ein paar Worte dazu:
In einigen Postingswurde es ja auch schon angesprochen: es gibt eine fördernde und eine hemmende Form von Lampenfieber.
Im Mittelpunkt zu stehen, kann für manchen etwas Unangenehmes zu sein (kann aber auch süchtig machen, wie @HWP schrieb), und die Angst vor Blamage kann ebenfalls Ängste auslösen. Die begleitende körperliche Unruhe, die dann auftaucht, zeigt, dass der Körper sich mobil macht, um eine Situation, die wir als schwierig einschätzen, zu bewältigen. Das geht mit erhöhter Aufmerksamkeit, Konzentration und Wachheit einher, wie es @pue aus seiner persönlichen Erfahrung so gut beschrieben hat. Und darum ist Lampenfieber erst mal eine prima Sache.
Wir sind dadurch leistungsfähiger (und das hat nichts mit Lernen unter Druck zu tun, @HWP, auch wenn diese Beobachtung leider in einer fiesen Tierversuch mit Angst-mach-Bedingungen wissenschaftlich erforscht wurde. Dennoch ist die Kurve richtig. Dass Herr Yerkes seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Dienst von eugenischen Ausgrenzungsbemühungen des amerikanischen Staates gestelt hat, ist schlimm, aber spricht nicht gegen die Richtigkeit der Beobachtung, die er gemacht hat. Auch ein Saxophon kann dazu dienen, sich und andere zu beglücken. Man kann andere auch damit quälen und es im Extremfall auch als Totschlagwaffe benutzen. Mir ist allerdings kein Fall von Mord durch Erschlagen mit einem Saxophon bekannt.)
Gut, es gibt also eine förderliche Form von Lampenfieber. Ich halte viele Vorträge und bin jedes mal aufgeregt. Kommenden Samstag halte ich einen Hauptvortrag auf einem Kongress und bin jetzt schon aufgeregt. Aber die Frage ist, wie ich dieses Aufgeregtsein bewerte. Ich kann mir sagen: "Es ist gut, dass ich aufgeregt bin, weil ich damit optimal leistungsfähig sein kann." Und die Aufgeregtheit mischt sich vielleicht auch mit Freude (so wie früher Heiligabend kurz vor der Bescherung). Nach so einem aufregenden Ereignis wie Vortrag vor Hunderten von Leuten oder Solo-Sax bin ich meist total erschöpft.
Natürlich ist eine gute Vorbereitung wichtig, sich gerade zu Anfang sicher zu fühlen. Der Sprung auf die Bühne, also die ersten Momente, die sollten gut sein, also mit einem sicher beherrschten Musikstück anfangen oder bei einem Vortrag die ersten Worte immer wieder zur Not auch vor dem Spiegel üben. Beim Publikum zählt oft der erste Eindruck, ob spätere "Patzer" toleriert werden.
"Patzer" kriegt das Publikum meist nicht so intensiv mit wie der Vortragende (egal ob Musik oder gesprochenes Wort) gar nicht so mit wie der Vortragende selbst. Manchmal findet das Publikum "Patzer" auch ganz sympathisch, wenn der Vortragende den "Patzer" vielleicht auch mit etwas Humor zu handeln weiß.
Und mal ganz ehrlich, was soll eigentlich passieren, wenn wir einen Fehler machen? Geköpft wird heute keiner mehr, und eine Klappe, in die man bei einem Fehler unwiederbringlich fällt geht auch nicht auf. Vielleicht ist es ganz gut, auch öffentlich mal Fehler zu machen, um mitzukriegen, dass man das überleben kann. Ich habe mal einen Solo-Auftritt mit dem Sax gehabt, wo während des Spielens eine Feder kaputt ging. ... und hatte im Anschluss zwar nicht den "Sie-sind-die-tollste-Hype" aber viele nette Gespräche mit dem Publikum. War sehr nett und entspannt.
Vielleicht ist es sinnvoll, den Umgang mit Fehlern und die Erkenntnis, dass das zu überleben ist zu trainieren.
Die entscheiden Frage aber ist ja, wie übergroßes Lampenfieber vermieden werden kann. Wie sagt der Volksmund? "Angst macht dumm." Und das stimmt auch. Wenn die Angst übermächtig wird, schaltet sich unser Hirn ab, und wir bringen gar nichts mehr (übrigens auch dann wenn wir zu entspannt an eine Sache rangehen, dann bringen wir auch nichts. Das habe ich schon bei Prüfungen bei Studenten erlebt, die ich in den Seminaren für gut hielt und dann in der Prüfung versagten, weil sie - wie sich später heraustellte, ein Beruhigungsmittel genommen hatten. Also bitte nie ein Beruhigungsmittel vor einem Vortrag nehmen!).
Überwältigendem Lampenfieber beugt man also nicht nur durch gute Vorbereitung und Anfangen mit Stücken oder Worten, bei denen man sich sicher fühlt vor, sondern möglicherweise auch durch "Gutzureden" ("in einer Stunde ist es vorbei", "Ich geb mein bestes", "Was soll schon passieren?" etc.), dem rechtzeitigen Erlernen einer Entspannungstechnik (z.B. Progressive Muskelentspannung) oder einer anderen gezielten Stressbewältigungstechnik (z.B. Michael Bohne: Klopfen gegen Lampenfieber) vor.
Ganz wichtig finde ich auch, vorher keinen Kaffee zu trinken, weil das die Anspannung erst recht in Schwung bringt, es sei denn, man hat immer unter Kaffee-Einfluss geübt. Dann kann man das unter Kaffee sicher eingeübte am besten unter Kaffee reproduzieren.
Lange Rede, kurzer Sinn: Freut Euch über Euer Lampenfieber und macht Euch nicht so viele Gedanken über Katastrophen, die vielleicht gar nicht eintreffen. Und wenn die dann doch eintreffen, gibt es ein Leben danach.
LG
Karin