Hallo zusammen,

es war am Samstag Abend, vor dem vierten Advent. Sohnemann hatte seinen ersten bezahlten Gig: mit seinem Lehrer, einem weiteren Profi und einem anderen Schüler zusammen sollten sie von 19-21 Uhr auf dem Weihnachtsmarkt als Saxophonquartett für die passende Stimmung aufspielen.

Statt der üblichen Kleiderordnung ("wir spielen alle in modischem Schwarz") lautete die Vorgabe des erfahrenen Profis diesmal: "Zieht Euch warm an!" - Also Skiunterwäsche, dünner und dicker Vliespulli, gefütterte Winterstiefel, ...

Als ich ihn mit seinen Instrumenten (A,T) und sonstigem Equipement abliefere, ist es -2°C, die kleine Bühne nur im hinteren Drittel überdacht und beleuchtet, symbolische elektrische Heizstrahler erwärmen die dort abgestellten Requisiten von irgendeiner Theateraufführung.

Nach einer Stunde komme ich wieder, um ein paar Videoaufnahmen zu machen, das Publikum ist recht überschaubar bei mittlerweile -5°C, die Musiker spielen unverdrossen, mal klassisch arrangierte alte deutsche Weihnachtslieder, mal ein bißchen jazzig-swingend bis bossa-mäßig. Beifall hört man sehr gedämpft, die wenigen Zuhörer halten die Hände fest um dampfende Glühweintassen oder haben sie behandschuht tief in die Manteltaschen vergraben. Sie bleiben meist nur für einen Titel stehen, summen oft leise mit oder bewegen sich im Rhythmus der Musik, dann gehen sie weiter "sorry - zu kalt, aber toll, dass Ihr trotzdem spielt !" Die Verkäuferin am benachbarten Crepes-Stand, wo es herrlich nach Zimt duftet, erzählt, dass schon einige Programmpunkte am Nachmittag nicht stattgefunden haben.
Es ist fast Vollmond, und die Künstler werden vom eigenartigen weißen Mondlicht beschienen, hinter Ihnen ist elektrische Weihnachtbeleuchtung - ob das was wird mit dem Video . . . Die Kamera hält sowieso gerade mal für einen Song durch, dann blinkt eine Anzeige, es sei ihr zu kalt - mittlerweise gerade mal -9°C.
Die Gel-Taschenwärmer der Musiker sind auch schon alle aufgebraucht, Mamas Fleece-Handschuhe mit den abgeschnittenen Fingerkuppen sind "die" Erfindung des Abends.
Kurz vor 21h, vier Zuhörer, dazu die Mitarbeiter des seit einer Stunde verwaisten Kinderkarusells --- da erwischt es beim letzten Titel die beiden "doubler":

Der Altist greift wieder zum Sopran - und hebt es mitsamt Kegelständer hoch, festgefroren. Nach vorsichtigem Ablösen des Ständers ein Blick in den Schallbecher: entlang der Schallröhre hat sich ein dicker Eiszapfen gebildet. Sohnemann greift wieder zum Tenor - Nach wenigen Takten hört er auf zu spielen - es liegt nicht an den steifen Fingern, nein, ein Wassertropfen ist im Kamin der G-Klappe angefroren und steht über den Tonlochrand raus, das Polster schließt nicht mehr, er kann nur noch Töne ab a aufwärts spielen.

Dann haben sies überstanden. Die Gage wird als Schmerzensgeld empfunden. Ich helfe beim Einpacken der Instrumente. Das Blättchen ist am Tisch des Metallmundstückes vom Tenor angefroren, außen am Schallbecher sitzen Eisperlen. Der Altist diagnostiziert eine geschlossene Eisschicht im Innern des S-Bogens.

Ich bringe Sohnemann nach Hause, dort sitzt er lange mit einer heißen Schokolade dicht vor dem Kaminofen zum Auftauen. Er grinst mich an und sagt: "War echt cool - stell Dir vor es hätte geregnet !" dann geht er in sein Zimmer, um die mitlerweile wieder eisfreien Instrumente trocken zu legen.


Frohe Weihnachten

Thomas

Wie haben die Kannen denn intoniert bei der Kälte??

Klasse Story: und nächstes Jahr spielst Du mit dem Kurzen!!

Das kann ich nachempfinden, man sollte die Instrumente nicht absetzen.
Aber wenigstens gab es bei euch Heizstrahler, wir hatten keine.

Hallo,

@weso: Ja, Intonation war ein Riesenproblem, praktisch vor jedem Stück wurde noch mal kurz nachgestimmt, zumindest in der ersten Stunde . . .
Hier merkt man den Klassenunterschied, die zwei Profis haben das gut im Griff, hören genau was Sache ist und gleichen mit dem Ansatz aus. Da sie die dominanten Stimmen (Alto/Sopran Melodiestimme sowie Bariton) gespielt haben, und die Jungs "nur" die "Füllstimmen", ist das nicht besonders aufgefallen, lediglich bei einem Stück, bei dem sie B-A-A-A besetzt waren, war das doch stellenweise ein hörbares Problem, zumal zwei Altos nicht "warm gespielt" waren und sich während der ersten Strophe die Intonation verschob. (Sie spielten ohne PA).

@wolfgang26: eher nicht, der "Kurze" (knapp 16J.) hat im letzten Jahr Riesenfortschritte gemacht, auch Dank der freundlichen Unterstützung und Nachwuchsarbeit der hiesigen Jazzer-Szene, während ich seit ein paar Monaten kaum noch zum Spielen komme - dieser miese Zustand wird auch noch ein Jahr anhalten. Aber eines habe ich fest vor: Ich will mit meinem Sohn zusammen mal auf der Jam-Session spielen.

@Freelancer: Na ja, die Strahler erwärmten mehr die unnützen Requisiten als die Musiker. Das Leben als "performing artist" hat Tücken wo man sie am wenigsten erwartet. Ich dachte im Vorfeld an diese kuscheligen Heizpilze mit Gasbetrieb, die bei manchen Kneipen für die Raucher in den Hof gestellt werden, aber da war nichts, weder auf der Bühne, noch für das Publikum, nur ein Täßchen Glühwein . . .

weihnachtliche Grüße

Thomas

performing artist,

es ist doch alles überall gleich, heute, gestern und früher.

für die musikalische umrahmung ist jeder dankbar, manche wippen wenn zwei achtel statt einem viertel gespielt werden ( ist das jazzig) und finden den performing artist ganz toll. keiner denkt daran, dass hier ein mensch genauso friert, mit seiner nase kämpft und werdende gichtfinger bekommt.
- Was ? die musiker stellen auch noch ansprüche - noch schöner! - die sollen spielen.

jedenfalls ist die storry für mich mitten aus dem leben gegriffen und sowas von wahr. es freut mich dass die jugend es so cool wegsteckt und etwas zu erzählen hat, so fängt ein musikerleben an.
berichte uns wieder in 08 wie es war - mir hats gefallen

es spielen die morschen knochen...

intune

hoi TBsax,

ich wäre genauso stolz wie du

nadja

Ich hoffe nur, dass die Kohle gestimmt hat.