saxkai5 schrieb im Thema "Billigsax vs. Selmer":Kenny G., DJ Ötzi, Udo Jürgens - sie machen Musik für eine Masse.
Das entscheidet die Anzahl der Fans. Aber ist diese Musik nun immer hochwertig?
Ganz unabhängig davon, ob man den Udo mag oder nicht (oder nur dann, wenn keine zuschaut, oder der Alkohol Spiegel hoch genug ist, dass es einem egal ist), seine Kompositionen, sind musiktechnisch allererste Qualität. Das ist nicht einfach so dahin gedüdelt, sondern jeder Akkord, jede Harmonie, jede Figur ist minutiös auf optimalen "Erfolg" getunt.
Nicht anders als bei J.S. Bach. Das beabsichtigte Ziel ist möglicherweise unterschiedlich, nicht die Methoden. Er weiß auch haargenau wann man mal eine Regel brechen darf (oder muss). Ich glaube es war "Merci Cherie", das er mit einem doch eher unüblichen verminderten Akkord beginnen lässt und damit voll ins Schwarze trifft.
Und eben WEIL die technische Qualität stimmt gehen seine Stücke beim ersten Hören ungebremst ins Hirn und setzen sich dort fest. Mann muss den Stil nicht mögen, aber seine Musik ist deshalb nicht weniger "hochwertig".
Das ist allerdings lange nicht bei allen, speziell im "Massenradio" gespielten Musikern der Fall. Da sind in der Tat die Harmoniefolgen meist etwas langweilig. Wenn die nicht durch die Casting Shows künstlich gepuscht würden, würden die meisten vermutlich schnell wieder unter gehen oder erst überhaupt nicht in größerem Stil wahrgenommen werden.
Wenn zufällig ein wirklich gutes Stück dabei ist, dann oft deshalb, weil wieder mal bei Bach, Albinoni, Pachelbel oder Vivaldi "entlehnt" wurde. Da kann man ja aus einem reichen Schatz an optimal komponierten Harmoniefolgen schöpfen, ohne dass man selbst eine Ahnung haben muss WARUM das funktioniert.
Ich behaupte mal, jeder Depp kann mit einem Computer, einem Sequenzer und ein paar Templates ein mittelmäßiges Stück zusammen schustern, das im Ö3 "qualitätsmäßig" ein paar Wochen mithalten kann. Um aber etwas zu schreiben, das über viele Jahre ein Dauerbrenner ist und keine "Abnützungs Erscheinungen" zeigt, bedarf es echter Genialität und harter Arbeit.
Was allerdings "den Jazz" angeht, da ist es wohl eher schwer allgemein gültige Qualitätskriterien anzulegen. Was für den Einen vielleicht eine eher zufällig Abfolge von Tönen ist, ist für einen Anderen möglicherweise eine geniale Folge komplexer Muster.
Musikalische Qualität kann man vermutlich am Besten aus der Distanz beurteilen. Ob ein Stück lange im stetig wechselnden Geschmack der Zeiten durchhält. Bach ist schon ein paar Jahre tot und immer noch so beliebt wie am ersten Tag. Es ist auch kein Problem, ein beliebiges seiner Werke zu nehmen und zu "modernisieren", es wird immer wieder gut werden. Praktisch nicht kaputt zu kriegen. Dabei sind die Sequenzen abwechslungsreich, vielschichtig und regen das ganze Gehirn an. Das definiere ICH als Qualität.
Auch "jüngere" Stücke quer durch alle Stil Richtungen haben das Zeug dazu, eine stabile Orientierung für Generationen an kommenden Musikern zu dienen. Quasi ein Fels in der Brandung. Wird "Pink Panther", "Harlem Nocturne" oder "Take Five", "Hotel California", "The Stars and Stripes forever", "Londonderry Air", "An der schönen Blauen Donau" oder "Aber bitte mit Sahne" in 100 oder 200 Jahren noch vor einem breiteren Publikum gespielt? Ich vermute ja und wenn das stimmt, dann war die Qualität wohl in Ordnung.
Drei Wochen in der Hitparade und dann nie wieder was davon gehört ist vielleicht kommerziell ein Erfolg, aber nicht mein Maßstab für Qualität.
Was fiele der Masse in Deutschland ein bei dem Begriff "Saxophonsound"? Es kämen Begriffe wie: Westernhagen, Baker Street, Pink Panther etc. Wer wohl käme auf die Idee Coleman Hawkins zu nennen?
Dass Coleman Hawkins einem breiteren Publikum nicht sagt, liegt nicht daran, dass er kein begabter Musiker gewesen wäre, sondern dass Jazz im Allgemeinen aufgrund der vielen Phrasierungen dem Hörer viel Arbeit abverlangt und daher oft sehr sperrig wirkt. Jazz drückt normalerweise nicht so doll aufs "Behlohnungszentrum" im Gehirn, ist also als Massen-Droge unbrauchbar. Es fehlt an leicht wiedererkennbaren Mustern, die sich zu einem Aha Erlebnis aufschaukeln. Es macht nicht "klick".
Die Genialität einen Werkes liegt darin, den Zuhörer mit griffigen Tonfolgen und leicht verständlichen Akkorden anzufüttern und die Seitenlinien so interessant zu phrasieren, dass ein breites Hörerlebnis entsteht. Es ist die Grenze zwischen plumper Langeweile und Chaos, die ein Stück interessant macht. Udo Jürgens ist näher am mitreißenden Grundthema, Bach definiert etwa die Grenzlinie - wobei die Festlegung natürlich rein subjektiv ist - und Coleman Hawkins ist eben deutlich näher am Chaos und daher für ein breites Publikum nicht mehr erreichbar.
In diesem Bereich wird der Qualitätsmaßstab zunehmend akademischer. Es muss also mehr "erklärt" werden und die Qualität kommt beim Publikum nicht mehr an. Wenn das Ziel ist, ein breiteres Publikum langfristig zu fesseln, dann hat das bei Coleman Hawkins zumindest nicht geklappt. Ich möchte aber bezweifeln, dass das der treibende Faktor hinter seiner Musik war.
Letztendlich gibt es immer wieder Musiker, die bewusst jegliche Konventionen ablehnen und so "genial" sind, dass ihnen kaum noch jemand folgen kann. John Cage beispielsweise. Der ist eindeutig der Region "Chaos" zuzuordnen. Seine "Werke"
4'33 oder
Sonatas and Interludes for prepared piano sind schon eher extrem. Das ist wie mit der abstrakten Malerei. Man weiß nie, ob der das ernst meint und tatsächlich so unbegreiflich tickt, oder ob man das Opfer eines grausamen Scherzes ist.
Hier "Qualität" zu definieren oder zu messen ist völlig hoffnungslos.
Die Qualität des Musikers bestimmt dann aber, wie erfolgreich man in der Lage ist, das auch "korrekt" so zu spielen, wie sich das der Komponist wohl gedacht hat.
Ich denke man sollte musikalische Qualität nicht in erster Linie nach dem messen, was "die Masse hört", sondern nach dem was die Leute langfristig und wiederholt zu hören bereit sind, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt. Kulinarische Qualität wird ja auch nicht in erster Linie nach dem gemessen was am meisten gegessen wird. Sonst wäre je nach Region pappiger Reis ohne Geschmack oder Fastfood aus der Schachtel das Ultimum an Genuss. Am anderen Ende ist "frittierte Bandwürmer an einer Soße aus vergorener Yakmilch" vielleicht kreativ, legt aber die Latte für Qualität vermutlich auch nicht so hoch.
Ein saftiger Schweinebraten hingegen kann durchaus ein kulinarischer Hochgenuss sein OBWOHL es in unseren Regionen ein "Massenessen" ist.
Mist. Jetzt bin ich wirklich hungrig geworden...