Ich möchte in diesem Thread nochmals auf die unterschiedlichen Konzepte „französische/amerikanische Bauweisen bei Saxophonen eingehen. Einigen Lesern wird dieses Thema schon vertraut sein, Anderen vielleicht noch nicht, so dass Verwunderung darüber entsteht, wie sich die Lager der Anhänger für das Eine und wider das Andere (französischer Klang einerseits/amerikanischer Klang/alte Amerikaner usw. andererseits) derart polarisieren können.
Ich lehne mich dabei eng an ein (das) Standardwerk zum Thema an, nämlich Ventzke/Raumberger/Hilkenbach „Die Saxophone“. Wer mehr zu dem Thema erfahren möchte, kann sich hier noch weiter einlesen.
Das erste Saxophonpatent für Adolphe Sax 1846 beschreibt die Korpusform als parabelförmigen Konus („cone parabolique“). Erst das zweite Patent 1866 führt neben Neuheiten und Verbesserungen auch einen geraden Konus auf („Cone droite“). Wobei wir schon bei dem Hauptunterschied zwischen französischer und
amerikanischer Bauweise wären: Während originale Sax-Instrumente aus dem 19 Jahrhundert mit parabolischem Korpus gefertigt wurden, eine erheblich schwieriger zu bewerkstelligende Aufgabe, und amerikanische Hersteller diese Bauweise weitgehend übernahmen, beruht das französische Konzept (wie auch die japanischen Saxophone und alle "modernen" Saxophone überhaupt) auf einer geraden Korpusform. Also erst das zweite Patent legitimiert die französische (moderne) Bauweise als Saxophon. Ironischerweise wären diese Instrumente ohne die vorweggenommene Idee von Adolphe Sax genau genommen nur saxophonähnliche Instrumente.
Wobei hier auch zu unterscheiden ist zwischen originalen Adolphe Sax Instrumenten mit parabolischer Krümmung und späteren amerikanischen Vintage-Instrumenten, bei denen eine parabolische Krümmung in unterschiedlicher Ausprägung, vor allem im unteren Teil des Korpus und im Schallbecher auftritt. Diese ist auch mit bloßem Auge gut zu erkennen, wenn man das Saxophon von der Seite betrachtet.
Es existiert also nicht nur eine streng parabolische und streng konische Auslegung, sondern unterschiedliche Umsetzungen der Hersteller in den verschiedenen Bereichen der Schallröhre bei Vintage-Amerikanern, während heute streng konisch gebaut wird.
Wie macht sich dieser konzeptuelle Unterschied in der Praxis bermerkbar? Dazu Ventke/Raumberger/Hilkenbach:
„Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass Saxophone aus amerikanischer Produktion (z.B. Buescher, Conn, Martin, Olds, King) eine deutlich andere Tonqualität und Ansprache haben als französische Instrumente (Selmer, SML, Buffet-Crampon, Dolnet und andere): während die amerikanischen Saxophone in der Regel sehr leicht ansprechen, besonders in der Tiefe, und einen sehr warmen, direkten, satten und vollen Klang haben, zeichnen sich die französischen Saxophone durch einen etwas distanziert wirkenden, kühleren, aber sehr farbig glänzenden und in allen Registern besonders ausgeglichenen Ton aus. Offenbar ist das Obertonspektrum bei den französischen Instrumenten etwas reicher; dadurch ist die Tragfähigkeit des Tons größer als bei den amerikanischen Saxophonen, wenn auch die Tiefe mitunter etwas flach wirkt und nicht so leicht anspricht. Dafür ist die Höhe besonders strahlend. Der Klang französischer Saxophone verträgt sich besser mit einem Holzbläsersatz, dagegen passen die amerikanischen Saxophone besonders gut in reine Blasmusik. Beider Klang-das muß betont werden- ist jedoch gleichermaßen kultiviert.“
Natürlich werden diese prinzipiellen Unterschiede noch durch andere Parameter beeinflusst und verstärkt, wie die Wahl eines entsprechenden Mundstückes, die Zusammensetzung des Korpusmaterials (alte Messinglegierungen hatten einen höheren Kupferanteil, die Bleche waren auch nicht durch Hämmern und Walzen verdichtet und gehärtet), die Sorgfalt bei der Fertigung (z.B. aufgesetzte Tonkamine statt gezogen), etc.
Und an anderer Stelle zitiert: “Ob sich ein Musiker für ein „amerikanisches“ oder „französisches“ Instrument entscheidet, ist Sache der persönlichen Affinität- und natürlich auch des Wissens um diese Dinge und der persönlichen Erfahrung. Ich selbst fühle mich auf den „amerikanischen“ Instrumenten besonders wohl, im Gegensatz zu den meisten Bläsern: deren Erfordernisse- sehr präzise Intonation bei hartem Klang und meist großen Lautstärken (Big Band, Rock, Pop)- kommen die „französischen“ Modelle mehr entgegen...doch auch die Mehrzahl der konzertanten Saxophonquartette benutzt Instrumente des französischen Typs. Man muss zugeben, dass sich auf Ihnen irisierende, transparente Klangfarben erzielen lassen: ehrlicherweise muss aber auch eingeräumt werden, dass es schwierig ist, auf diesen Instrumenten im Pianobereich einen dünnen, in der Tiefe knarrenden Ton mit hohem Geräuschanteil zu vermeiden. Auf den „amerikanischen“ Saxophonen geht das viel besser...das akustische System <parabolische Schallröhre plus Schnabelmundstück mit weiter Kammer> hat die Eigenschaft, ein Obertonspektrum auszubilden, welches über den gesamten Tonumfang und bei allen Lautstärkegraden eine bemerkenswerte Konstanz aufweist.
Und eben das ist es, was den Klang des ursprünglichen Saxophons so faszinierend macht: ein Klangvaleur von unbestimmbarer Qualität, gleichsam wie aus dem Nichts, schwer einzuordnen, ein Klang ohne Eigenschaften, nicht markant und doch von sanfter Eindringlichkeit; ein Klang, den es vorher nicht gegeben hat. Es ist die große Leistung von Adolphe Sax, diesen Klang imaginiert und durch seine spezifische Konstruktion realisiert zu haben.“