Lieber Wallenstein,
das hast du schön gesagt mit der Chiffresprache und ich lese in den meisten Regelwerken genau das: sich selbst erklärende Zirkelschlüsse, die ein Einsteigen in die Materie unmöglich machen.
Wenn man definiert, dass die Quinte aus sieben Halbtonschritten besteht, müsste ja erst einmal geklärt sein, was ein Halbtonschritt ist. Hier wird das physikalisch recht einfache Schwingungsverhältnis (2:3) der Quinte mit einem Intervall erklärt, dass ungleich schwieriger zu erklären ist, weil es viel komplexer ist.
Gut, du findest den Halbtonschritt auf deinem Instrument und er scheint 'gegeben'. Es bleibt aber ein hohles Gefühl, weil ein Intervall nur mal eben durch ein anderes definiert ist. Das wird nicht besser, wenn wir die reine Quinte aus drei Ganz- und einem Halbton zusammen setzen.
Es bleibt unbefriedigend.
Was tun? Darf ich etwas ausholen?
Es gibt noch einfachere Intervalle als die Quinte, zum Beispiel die Oktave. Was ist mit ihr? Hast du ein Gefühl für sie? Hast du sie im Ohr. Warum benennen wir einen Ton, der zwölf Halbtonschritte höher als ein anderer ist, mit dem gleichen Buchstaben? Wie mir scheint, hat da niemand ein Problem mit. Immerhin sind es definitiv unterschiedliche Töne.
Ich denke, es liegt an ihrem Verschmelzungsgrad. Bei der Oktave schwingt ein Ton doppelt so schnell wie der andere. Mann und Frau singen in der Regel Lieder automatisch im Oktavabstand, merken gar nicht, dass sie 'zweistimmig' singen.
Erinnere dich an den Steg am Zürichsee, auf dem wir pickten und fast einnickten. Stell dir die Wellen vor: zwei Boote, ein großes und ein kleines, fahren hintereinander am Ufer vorbei und die Wellen, die sie machen, schwingen in feiner Harmonie: die des kleinen Bootes machen genau noch eine Zwischenwelle in die größeren Abstände der Wellen des großen Bootes. Ja, die müssen dazu natürlich exakt intonieren. Man müsste mal einen Bootsbauer fragen, ob er überhaupt weiß, welche Wellenlänge ein Schiff produziert. Ich würde vermuten, dass das kleine Boot halb so lang und halb so breit sein müsste, um eine 'Oktave' höher zu klingen.
Obwohl sich hier zwei Wellen aufaddieren, bleibt der ans Ufer schwappende Rhythmus einfach. Die kürzeren Wellen passen genau zwischen die längeren.
Ich behalte das große Boot und lasse eins bauen, welches um zwei Drittel kleiner ist. Es wird drei Wellen da machen, wo das Große zwei Wellen machte. Das sich ergebende Muster wird komplexer und doch treffen noch etliche Wellen beider Schiffe zugleich ans Ufer. Vom kleinen jede Dritte und vom großen Boot jede Zweite.
Ach, lass uns lieber wieder Bötchen fahren, als hier Fach zu simpeln.
Nicht?
Ok, ich drück mich um die Musik herum, ich weiß. Hm...
Ich schenk dir erst mal eine Quinte. Es ist ein Eb und dazu kommt ein Bb:
Quinte
Ups, da waren wohl noch ein paar Haubentaucher unterwegs; der See ist nicht spiegelglatt und kräuselt sich ein wenig. Kleine unregelmäßige Wellen rauschen im hohen Frequenzbereich, aber das soll uns nicht weiter stören.
Auch das feine rhythmische Pumpen ist nicht von Belang, scheint, als wäre die Abstimmung, die Intonation der Töne dann doch nicht ganz genau. Als alte Druckexpertin kennst du das Phänomen als Moirée. Zwei Raster, die eigentlich deckungsgleich sein sollten, verschieben sich um eine Nuance und es entsteht ein optische Pumpen mit helleren und dunkleren Flecken.
Das Wesen der Quinte jedoch ist zu erkennen. Es zu beschreiben, überlasse ich dir. Für mich klingt das Gebilde stark und fest, wie eine akustische Säule. Nimm dein René und spiele ein C (klingend Eb) dazu. Horche, fühle. Dann spiele ein G dazu. Fühlt sich das anders an?
Du schlüpfst in die Rolle der jeweiligen Partnertöne und kannst sie vielleicht spüren und beschreiben. Sie stehen in einem bestimmten Verhältnis zu einander und spielen tatsächlich unterschiedliche Rollen.
In genau diesen Rollen liegt das ganze Geheimnis unserer abendländischen und auch der meisten anderen Weltmusiken.
Nicht die Quinte ist definiert durch eine Anzahl von Halbtönen, sondern die Quinte wird die Halbtöne definieren und erklären, aber davon
sPeter