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pue
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Vielen Dank für Unterstützung; es freut mich sehr zu lesen, dass der Kurs ein positives Echo findet.
11er, 13er und 9#-Akkorde
Ja, noch fehlen uns immer noch einige Kandidaten unter den Akkorden. Wir haben bis hier schon so manche Terzenkombination aufgeschichtet, diverse Töne hinzugefügt, ersetzt oder weggelassen, aber noch sind wir mit der Hochstapelei nicht fertig. Es geht nämlich noch höher hinaus.
Bevor wir dazu kommen, noch ein Akkord, der liegen geblieben und noch nicht besprochen ist. Es ist der Dur6- oder Moll6-Akkord, der durch das Hinzufügen der großen Sexte entsteht. Meist steht er auf der I. oder IV. Stufe und ist dem j7-Akkord näher als den Dominantakkorden. Das heißt, je nach Melodie oder Färbung setzt man einen j7- oder einen 6-Akkord. Wie er klingt, könnt ihr hier im zweiten Takt hören:
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Die kleine Akkordsequenz, die ich hier zusammenstellte, fand ich ganz hübsch, weil hier zu hören ist, wie durch die weitere Stapelei immer mehr Spannung aufgebaut wird. Zumindest bis zum C11#/13 steigt sie stetig an. Immer mehr Töne ziehen, reiben und drängen zur Auflösung. Danach wird die Spannung kleiner und die Akkorde treiben ein merkwürdiges Spiel. Das alles besprechen wir nun im Einzelnen.
Die Akkorde der ersten Zeile sind bekannt. Die zweite fängt mit C11 an. Ich habe bei ihm die Terz weggelassen, weil diese durch die 11 (hier ein F) ersetzt ist. So ähnelt der Akkord stark dem sus4-Vorhalt und ist identisch mit einem 9/sus4-Akkord.
Es folgt der gleich Akkord mit der 11#, hier einem F#. Ich überlege gerade, ob ich nicht besser hier schon die Quinte weggelassen hätte, da sich die Kreuz-Elf tendenziell zur None von Fj7/9 auflösen möchte, also zum G. Indem ich das G also in der Dominante schon spiele, nehme ich es vorweg.
Ihr seht, auch ich muss noch basteln. Ich halte mich nämlich nicht gerade oft in diesen Gefilden auf und mache das nur, weil ich denke, irgendwann muss der Wahnsinn doch ein Ende haben. Tatsächlich sehe ich auch ein wenig Licht am Horizont.
Weiter gehts: auf das Gebilde von eben kommt die 13 drauf. Auch die hatten wir schon am Anfang mit der großen Sexte. Warum reicht die uns denn nicht? In unserem Falle sind wir auf einem Dominantakkord mit kleiner Septime; der 6er-Akkord war aber eher ein Vertreter von I und IV. In diesem Fall hier ersetzt die 13 nämlich die Quinte, will sich, wie schon die 11# zum G auflösen. Während die Sexte also für sich steht, für eine Färbung sorgt und mit dem j7 verwandt ist, ist die 13 in den allermeisten Fällen dominantisch.
Ich bespreche hier nun nicht alle möglichen Akkorde, sondern will Wege aufzeigen, wie Akkorde zu deuten sind. Liszt sagte einmal, man könne jeden Akkord hinter jedem spielen. Seid sicher, es gibt noch einige Kombinationsmöglichkeiten, wie z.B. den einfachen !3er-Akkord im nächsten Takt. Die elf ist hier tonleitereigen und so erstaunt es nicht, dass die Spannung abnimmt. Den gleichen Akkord könnte man auch Bb7/C nennen.
Und hier höre ich auf mit dem Terzstapeln: mit der nächsten Terz langen wir beim Grundton an und somit bleibt uns ein 15ner erspart. Herzlichen Glückwunsch allen, die es bis hier geschafft haben.
Ein wenig aber will ich euch noch quälen.
Dritte Zeile: nanu? Noch ein 13er, aber mit der Durterz zwischen 7 und 13. Auch hier müsste ich einen Pianisten fragen, ob es eine besondere Schreibweise für diesen Akkord gibt. Ich nenne ihn 13er im Quart-Voicing, da es sich hier um Quartstapel handelt. Ich empfinde ihn spannend, bluesig und offen. Nicht so kompakt gedrängt wie die Terzstapel klingt er leichter.
Wir verlassen C und ändern nun den Grundton ab: das Tritonussubstitut läßt grüßen und erstaunt stellen wir fest, dass die Akkordtöne mit Ausnahme des Grundtones zwar etwas anders aussehen, aber im Grunde einfach liegenbleiben. Aus Bb wird A#, die große Terz zum F# aus der Terz wird die Septime E und die 13 wird zur Kreuz-9. Das ist die kleine Terz zu F#, aua! Große und kleine Terz in einem Akkord?
Ja, und ich bin immer geneigt den Akkord nicht als Kreuz-9, sondern als 10b zu bezeichnen. ich bin nicht der Ansicht, dass es sich um eine übermäßige None, sondern um die Bluesterz handelt. Es ist eine Möglichkeit, auf fest gestimmten Instrumenten Moll- und Durgeschlecht zu verwischen.
In den nächsten beiden Takten für ich die Spielerei fort und entsculdige mich gleich dafür, dass wir dominant aufhören. Singt euch einen letzten Bbj7-Akkord dazu.
Wenn ich mit die kleine Sequenz hier oben anhöre, höre ich fast ein Stück Jazzgeschichte: erst die einfachen Akkord des New-Orleans-Jazz, dann die komplexeren der Big-Band- und Swingaera und am Ende die Quart-Voicings im Bebop.
Ein Beispiel, wie solche Quart-Voicings gebraucht werden können, möchte ich hier zeigen:
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Die erste Zeile zeigt eine Kadenz TSTD, in der 13er und Kreuz-Neuner-Akkorde abwechseln. Man beachte, dass die drei 'Oberstimmen' rein chromatisch laufen. Läßt man den Bass auch chromatisch laufen, so erhält man die nächste Zeile und die erinnert mich doch stark an die eine oder andere Komposition von Thelonious Monk. (Epistrophy hören)
Obwohl die Akkorde ausschließlich chromatisch rücken, kann man die Kadenz der ersten 4 Takte ahnen. Die Funktionen treten nicht mehr in den Vordergrund, sondern schwingen im Kopf mit.
Fast habe ich den Eindruck, dass das harmonische Gebäude des Jazz hier ausgereizt ist. Die Alterierungen der Dominante haben dazu geführt, dass (außer j7?) alle Töne in im vorkommen können. Chromatik, alterierte, Ganzton-, HalbtonGanzton- und chromatische Skalen ermöglichen eine unglaublich freie Bewegung im vertikalen Gerüst.
Mehr davon wird es nicht geben und so hat sich der Jazz in harmonischer Hinsicht auch nicht mehr weiter entwickelt. Er konnte seine Farben und Emotionen noch einmal im Cool Jazz oder später im Electric Jazz nuancieren, den Grad der Harmonisierung hat er nicht mehr erhöhen können und folgerichtig folgte der Bruch zum Free Jazz, in dem die Werte neu gesetzt und alte Zwangsjacken abgelegt wurden. Eine andere Entwicklung, zum Teil parallel zum Free Jazz, kam nicht zuletzt aus dem starken Einfluss Indiens auf die Jazzmusiker. Die 'Changes' wurden ganz aufgegeben und man improvisierte zu einer offenen Quinte.
Back to the Roots? Ich denke ja, und immer wieder, aber: was für ein spannender Ausflug dazwischen, oder?
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